Oft hilft der Blick von außen, um sich selbst besser zu verstehen. Eine Austauschstudentin aus Manchester lernt Heidelberg kennen.
Wenn man sich dazu entscheidet, ein Jahr im Ausland zu verbringen, erwartet man, sich anpassen zu müssen. Als Engländerin gibt es bestimmte Sachen, an die ich mich gewöhnen muss. Wenn ich die Straße überquere, muss ich links, nicht rechts schauen und obwohl ich seit einem Monat hier bin, schaue ich noch rechts.
Natürlich gibt es die Sprache. Da Heidelberg eine touristische Stadt ist, ist es nicht schwierig, Leute zu finden, die Englisch sprechen. Trotzdem: Wenn ich durch die Straße laufe und Deutsch höre oder wenn man mich in einer Vorlesung, „ist der Platz frei?“ fragt und ich es nicht sofort verstehe, fühle ich mich ein bisschen komisch, sogar desorientiert.
Manchester war ein Schlüsselpunkt für die Industrielle Revolution
Ich studiere an der Universität von Manchester. Manchester war ein Schlüsselpunkt für die Industrielle Revolution und das sieht man an der Architektur. Die Betongebäude und der Kanal stehen im Gegensatz zu den Bergen und dem Grün von Heidelberg. Während die Hauptstraße von Heidelberg niedlich und pastellfarben ist, ist die Hauptstraße von Manchester einfarbig und zweckmäßig.
Es gibt einen scheinbaren Unterschied zwischen den Zeitperioden. Heidelberg sieht traditionell und fast erhalten aus, als ob es jahrelang unberührt gewesen wäre. Manchester verändert sich aber immer noch. Obwohl die Industrie heutzutage nicht so „aktiv“ ist, ist Manchester ein wichtiges Heim der Medienlandschaft und der sogenannten Media City, ein entscheidendes Zentrum für die BBC.
Ich glaube, was mir am meisten fehlt an Manchester ist die Vielfalt des Musik- und Nachtlebens. Das gehört einfach dazu, wenn man in der drittgrößten Stadt von England ist. Die ikonischste Band aus Manchester ist natürlich Oasis. In den späten 80er Jahren war Manchester aber der Geburtsort der Musikszene „Madchester“ – eine Mischung von Rock, der psychedelischen und der Elektromusik.
Diese Musikszene war damals beeinflussend und hat teils das Manchester-Nachtleben von heute geprägt. „Canal Street“ ist beliebt bei Studenten und „The Northern Quarter“ gilt als „trendy“ Gebiet. Die Szene ist vielfältig, aber leider habe ich keine Alternative in Heidelberg gefunden.
Diese Kultur wird in der Universität von Manchester widergespiegelt. Unsere Studentenvereinigung ist prominent und versucht, alle Studenten durch die „Student Officers“ zu vertreten, die von den Studenten gewählt werden und verantwortlich für eine Gruppe, zum Beispiel LGBTQ sind. Vielleicht bin ich mir als Erasmus-Studentin nicht so bewusst darüber, aber das scheint in Heidelberg nicht so zu sein.
Die Universität ist auch nicht in der Mitte der Stadt, sondern auf der „Oxford Road“, der Hauptstraße für die Universitäten. Trotz dem bedeutenden Unterschied in der Größe der Großstädte hat Manchester ungefähr 8000 Studenten mehr als Heidelberg. Heidelberg erscheint aber viel kleiner.
Es sind die kleinen Sachen, die einen verwundern
Ich habe herausgefunden, dass es die kleinen Sachen sind, die einen verwundern. Nicht, dass ich weit weg von meiner Familie bin, sondern wenn ich vor der Waschmaschine stehe und ich die unterschiedlichen Optionen nicht verstehen kann, weil sie auf Deutsch sind. Außerdem hat mein Wohnheim einen „Waschmaschinenplan“, in den man die Zeit einträgt, zu der man seine Kleidung waschen will. Das hat zu Verwirrung geführt!
Es gibt die unterschiedlichen Mülleimer, theoretisch nicht kompliziert, denn wir recyceln auch in England. Aber als ich mir vor einiger Zeit eine Tasse Tee machte, hatte ich keine Ahnung, wohin der Teebeutel soll.
Die wichtigste Sache, die ich herausgefunden habe, ist, dass man Tag für Tag leben muss und nicht immer den eigenen Fortschritt mit anderen Leuten vergleichen sollte. Außerdem kann man nicht sagen, ob Manchester oder Heidelberg besser ist. Sie sind einfach unterschiedlich und ich liebe beide aus unterschiedlichen Gründen. Wenn ich in Heidelberg über die Alte Brücke gehe, um zu meiner Vorlesung zu gehen, fühle ich mich so glücklich, dass ich das jeden Tag sehen kann.
Ich hoffe, dass ich mich am Ende meines Jahres so wohl fühle in Heidelberg und daran gewöhnt bin, dass ich nicht sage „Es ist anders in England“, sondern wenn ich nach England zurückkehre, sage „Es ist anders in Deutschland.“
Von Ailish Juniper