Eine klassisch philologische Hausarbeit: Wie hängen Macht und Stuhlgang zusammen?
Hat sich irgendwer jemals die Frage gestellt, was ein Kaiser auf dem Klo zustande bringt? Wohl selten. Besteht darin überhaupt irgendeine Relevanz? Anscheinend schon.
Im letzten Sommersemester wurde in Folge des Hauptseminars „Die Kunst des Sterbens: Thanatographien in Suetons Kaiserviten“ am Seminar für klassische Philologie Heidelberg eine Arbeit eingereicht, die sich genau mit diesem Thema befasste.
Maximilian Haas, Masterstudent an der Universität Heidelberg, erforschte im Detail, inwiefern sich Politik und Körper der Kaiser im Kontext ihres Sterbevorgangs vereinen ließen, und setzte hierbei den Fokus auf eine besondere Funktion des kaiserlichen Körpers: die Digestion.
Der Anreiz, die Körper der Kaiser zum Gegenstand philologischer Fragen werden zu lassen, kam dem Schreiber im Rahmen einer Literaturanalyse. Die Arbeit befasst sich mit den Verdauungsproblemen drei verschiedener suetonischer Kaiser: das „sich vollscheißen“ des Claudius, die Entleerung des Augustus und die Diarrhö und Konstipation des Tiberius.
Ein in der Arbeit hervorgebrachter Aspekt ist beispielsweise, inwiefern das Ausscheiden aus dem Leben als ein Akt der körperlichen Ausscheidung figuriert. Es wird behauptet, dem suetonischen Kaiser Claudius sei das Leben regelrecht rektal entfahren. Zwischen Tod und digestiven Problemen bestehe eine Verbindung, die auch in dem lateinischen Begriff „animam abulliit“ (das Sterben als eine Art des Furzens) widergespiegelt wird.
Kaiser Claudius ist das Leben regelrecht rektal entfahren
Es bestehen Engführungen zwischen den spezifischen Formen der kaiserlichen Machtausübung und den spezifischen Formen der Pathologien der kaiserlichen Körper: das Thema der Macht ist verkettet mit der Kontrolle über die Vorgänge der Verdauung.
Die Gesten des „retentiven“ Kaiser Tiberius seien beispielsweise Formen der Versteifung, welche alle von einem Zwang festzuhalten zeugen – er galt dementsprechend als besonders geizig. Gleichermaßen wurde der „diarrhetische“ Kaiser Augustus als besonders freigiebig charakterisiert.
Die Psychoanalyse scheint ebenfalls ein essenzieller Faktor bei der Zusammenführung von Stuhlkontrolle und Herrschaft zu sein. Die Einübung der Stuhlkontrolle iniziiert nämlich in der psychoanalytischen Tradition, die Ausbildung einer Objektbeziehung zur Außenwelt.
Der Darminhalt stellt laut Freud auch „das erste ‚Geschenk‘ dar, durch dessen Entäußerung die Gefügigkeit und durch dessen Verweigerung der Trotz des kleinen Wesens gegen seine Umgebung ausgedrückt wird.“ Er erläutert hiermit die bestehende Verbindung zwischen der bei einigen Kindern beobachteten Tendenz, die Entleerung des Darms zu verweigern und gewissen auffälligen Charakterzügen im Erwachsenenalter. Eine häufig beobachtete Form einer solchen Ausprägung ist zum Beispiel der Geiz. Vor allem aber wurde die Verbindung zwischen Geld (oder auch Gold) und Kot festgestellt.
Der Klogang wird zu einer zu hinterfragenden Angelegenheit
All dies scheint zusammenfassend von eher methodologischer Bedeutung für die klassisch-philologische Wissenschaft zu sein. Doch ein akademisch ungebundener Leser wird sich nach seiner Lektüre wohl auf ganz neue Gedanken stürzen. So sind es erstaunliche, doch gar ungewöhnliche Zusammenhänge, die hier zwischen zwei Formen des menschlichen Ausscheidens erfasst werden.
Es wäre durchaus interessant, solche Beobachtungen als Basis für neuzeitliche psychologische Analysen zu benutzen. Existiert bei der menschlichen Spezies im Allgemeinen eine Korrelation zwischen Verhaltensmustern, Charaktereigenschaften und den produzierten ‚Fäkalmassen‘? Eine Arbeit dieser Art könnte eine ganze Welle von Selbstreflexion auslösen. Der nächste und jeder darauf folgende Klogang würde daraufhin zu einer hinterfragenden Angelegenheit: Es treten Bauchschmerzen auf und schon fragen sich unzählige Studierende, ob sie denn wohl eher geiziger oder zurückhaltender Natur sind.
Wie auch immer die Herangehensweise sein mag, für die sich Leser und Leserinnen entscheiden, eine solch außergewöhnliche Thematik in einem vorurteilsmäßig traditionellen Fach setzt ein positives Zeichen für die Bandbreite der akademischen Landschaft.
So ist es doch erfrischend zu beobachten, dass Studierenden im Kontext ihrer Hausarbeiten eine gewisse kreative Freiheit bei der Themenwahl gewährleistet wird.
Von Fanny Spiegelhalter