Keine Lust auf das Hier und Jetzt? Die Partyreihe „La Nuit Bohème“ entführt ihre Gäste in das Lebensgefühl einer längst vergangenen Zeit
Wer kennt nicht dieses Gefühl: Ein Tag gleicht dem anderen. Die als aufregend angepriesene Uni entwickelt ihre ganz eigene Form der Monotonie und Langeweile. Große Freiheit und Selbstverwirklichung – Fehlanzeige. Ein Gedanke drängt sich auf und lässt dich nicht mehr los: Wie viel aufregender muss das Leben vor Facebook und RTL-Soaps gewesen sein? Vor allem bei den Zwanzigern muss es sich um eine traumhafte Zeit gehandelt haben. Eine Zeit, in der Kunst und Kultur in voller Blüte standen, in der das Leben noch lebenswert war.
Die Partyreihe „La Nuit Bohème“, die in regelmäßigen Abständen im Karlstorbahnhof in Heidelberg stattfindet, verspricht dieser Sehnsucht Befriedigung zu verschaffen und das, ohne sich zum wahrscheinlich hundertsten Mal „Midnight in Paris“ anzusehen. Am Samstag, dem 3. Dezember, durfte auch ich an dieser Veranstaltung teilnehmen.
Dabei ergibt sich das erste Manko allerdings leider schon bevor die Realitätsflucht überhaupt beginnen kann. Die Eintrittspreise sind mit 12 Euro im Vorverkauf und 15 Euro an der Abendkasse recht hoch bemessen und versetzen dem einen oder anderen Studentenherzen beim Blick in die Brieftasche sicher einen kleinen Stich.Nichtsdestotrotz ist bei Betreten des Karlstorbahnhofs die Begeisterung der Gäste zu spüren.
Als mein Blick durch den Raum schweift, erblicke ich eine Unzahl von Hüten, Hosenträgern, Boas, Schiebermützen und Zigarettenspitzen. Nahezu alle Gäste sind verkleidet. Zusammen mit dem herrlich nostalgisch dekorierten Karlstorbahnhof und dem ebenfalls verkleideten Personal entsteht so eine unglaublich dichte und authentische Atmosphäre.
Im Saal locken Jazz und Swing-Stücke die Gäste zahlreich auf die Tanzfläche. An den Wänden angebrachte Leinwände zeigen Filmaufnahmen von Charleston- und Lindy-Hop-Tänzern. Dadurch inspiriert versuchen sich die Leute selbst – mehr oder weniger erfolgreich – an diesen doch etwas in die Jahre gekommenen Tänzen. Der im Klub K vornehmlich gespielte Elektro Swing bietet dabei eine angenehme Ergänzung.
Wer keine Lust hat zu tanzen oder eine kleine Pause braucht, kann sich in der Styling Lounge im Stil der Zwanziger aufhübschen lassen.
Alternativ kann man sein Glück im Casino bei Poker, Roulette und Black Jack versuchen und dabei Getränkegutscheine und ähnliche kleine Preise gewinnen oder sich vor einer Fotowand ablichten lassen. Die Freude an diesen sehr schön inszenierten und von äußerst freundlichem Personal betreuten Beschäftigungen wird lediglich durch die recht langen Wartezeiten etwas gedämpft.
An der Bar im Foyer kann man seinen Durst zu vergleichsweise günstigen Preisen löschen. Das normale Angebot wird dabei durch Absinth, Pralinen und Popcorn ergänzt. Wem der Weg zur Bar zu weit ist, kann von Bauchladenmädchen Zigarren, Schnaps und Ähnliches erwerben.
Seinen Höhepunkt erreicht der Abend gegen zwölf, als Alice Francis und ihre zweiköpfige Band die Bühne betreten. Ihre Mischung aus Jazz, Elektro und Hip-Hop bietet ein zwar eigenwilliges aber zugleich ungemein interessantes und mitreißendes Hörerlebnis, das an diesem Abend niemanden stillstehen lässt.
Alice Francis entpuppt sich dabei als charismatische Frontfrau, der es ohne Probleme gelingt, ihr Publikum zu animieren. Mit ihren aufgetürmten Haaren und ihrer extravaganten Kleidung fügt sie sich zudem perfekt in das Zwanzigerjahre-Szenario des Abends ein. Leider ist der Auftritt nach nur eineinhalb Stunden, für meinen Geschmack etwas zu früh, schon wieder vorbei.Sicher lassen sich im Rückblick auf diese Veranstaltung einige Kritikpunkte anbringen, wie der hohe Eintrittspreis, die langen Wartezeiten und der verhältnismäßig kurze Liveauftritt von Alice Francis. Allerdings hat sie ihr wichtigstes Ziel zweifellos mit Bravour erreicht und ihren Gästen das Abtauchen in eine andere Zeit ermöglicht, wenn auch nur für einen Abend.
Von Matthias Luxenburger