Die „disastermappers Heidelberg“ organisieren regelmäßig Mapping-Treffen zur Kartierung von Krisengebieten. Dieses Mal nahmen sie sich die Stadt Karakol im Nordosten von Kirgisistan vor
Donnergrollen gefolgt von unheimlichen Beben und Sirenegeheul. Die Erde bewegt sich. Wir befinden uns in Karakol, einer Kleinstadt mit 68 000 Einwohnern in der kirgisischen Provinz Yssykköl und am nördlichen Rand einer seismisch hoch aktiven Zone. Hier prallt die indische auf die eurasische Kontinentalplatte. Das wohl bekannteste Ergebnis dieser Kollision ist das Himalaya Gebirge. Zusammen mit den Ländern Kasachstan, Turkmenistan und Tadschikistan und einer Gesamtbevölkerung von 60 Millionen Menschen zählt diese Gegend zu einer der weltweit gefährlichsten Erdbebenregionen. Laut der Seite „earthquaketrack“ bebte es dort allein dieses Jahr schon 103 Mal. Um Einsatzkräfte frühzeitig dorthin zu schicken, wo sie am dringendsten benötigt werden, muss blitzschnell kalkuliert werden, an welchem Ort das erwartete Beben den größten Schaden anrichten und die meisten Menschen betreffen wird. Die Basis für solche lebenswichtigen Entscheidungen ist Kartenmaterial, in dem bestehende Straßen, Pfade und Häuser „gemappt“ wurden. Nur, dass es an solchen Informationen im Fall Kirgisistan mangelt. Dabei wird nicht viel benötigt, um dieses Material zu generieren: ein Internetzugang, ein openstreetmap Account und einen Editor, um das Kartenmaterial zu bearbeiten.
Das dachten sich auch vier Geographiestudenten an der Universität Heidelberg. Von einem Vortrag über Mapping in Krisenregionen so beeindruckt, gründeten sie vor drei Jahren die „disastermappers Heidelberg“. Melanie Eckle, Gründungsmitglied der ersten Stunde meint dazu lachend: „Es hat sich immer weiterentwickelt und irgendwie sind wir dabei geblieben.“ Die als studentische Initiative begonnene Gruppe, von der mehrere Mitglieder inzwischen in der Forschungsgruppe Geoinformatik „GIScience“ an der Universität Heidelberg arbeiten, organisiert regelmäßig Mappingtreffen. Zum einen werden in diesen die technischen Fähigkeiten vermittelt und zum anderen Krisenregionen in einer größeren Gruppe gemappt. Für die vorweihnachtliche Veranstaltung letzte Woche wurde Massimiliano Pittore vom GFZ, dem deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam, per Skype zugeschaltet. Er und sein Team wurden von der Weltbank damit beauftragt, ein Erdbeben Frühwarnsystem für Kirgisistan zu entwickeln. Anhand einiger Folien erklärt er, aus welchen Faktoren sich in der Wissenschaft seismisches Risiko zusammensetzt: Der tektonischen Erdbebengefahr, der physikalischen Verwundbarkeit, heißt der Bauqualität und –substanz von Häusern, und der sozialen Stabilität. Im Fall Kirgisistan leben 70 Prozent der Bevölkerung in unterdurchschnittlichen Behausungen oder sind obdachlos. Im weltweiten Bruttoinlandsproduktvergleich liegt das Land auf Platz 187 von 228. Gemäß den Kriterien ist in Kirgisistan das seismische Risiko also extrem hoch. Trotzdem gibt es für diese Region wenige, nicht komplette oder sogar falsche Karten. „Wir brauchen unbedingt Informationen, um das Risiko richtig einschätzen zu können“, betonte Massimiliano Pittore. Danach erklärte er die Aufgabe für diesen Abend: „Besonders wichtig ist das Mappen der Häuser. Ihre Lokalisierung, ihre Dimension und ihre Form. Aber auch Zugangsstraßen sollen gemappt werden.“ Nach dieser Einleitung aus Potsdam konnte es direkt mit dem Mapping losgehen. Fast. Für Mappingneulinge fand anfangs eine Einleitung in grundlegende Konzepte statt, denn: „Alle können hier mappen, nicht nur Geographie-Studenten.“ Welcher Editor soll für das Bearbeiten der Karten installiert werden? Woher wissen Mapper, welche Region schon bearbeitet wurde? Wie werden Häuser gemappt, wie Straßen?
„Wir brauchen unbedingt mehr Informationen“
Der geographische Datensatz wurde von der freien Online Plattform OpenStreetMap (OSM) heruntergeladen. Was für viele Wikipedia ist, ist für den passionierten Mapper OSM – ein Wikipedia der Karten. Im Jahr 2004 gegründet, hat die Plattform nun über zwei Millionen Nutzer. Getreu dem „open source“ Gedanken kann jeder Karten hinzufügen und bearbeiten. Zusätzlich sehr hilfreich für „disastermappers“ ist der Humanitarian OpenStreetMap Team Manager (HOT), in dem verschiedene Aufgaben aufgelistet und erklärt sind.
Bei Glühwein und Plätzchen wurden bis spät in die Nacht Karakols Häuser und Straßen kartiert. Strich um Strich. Quadrat um Quadrat. Über die braun-grüne Landwirtschaftlich geprägten Vororte um Karakol bis in den dicht bebauten Stadtkern. Das Highlight am Ende war der kleine Peak im Aktivitätenprotokoll der Aufgabe – ein kleiner Schritt vorwärts in der Erdbebenkatastrophenhilfe und der Entwicklung eines Frühwarnsystems für Kirgisistan.
Von Monika Witzenberger