Keine Frage hat die ruprecht-Redaktion jemals so gespalten wie diese: Sollte man Pizza mit Ananas belegen? Zwei Plädoyers.
Pro
In der kalten und dunklen Jahreszeit bietet der Ausbruch in eine exotische Idylle eine wohltuende Abwechslung vom grauen Studienalltag. Wenn der Kurztrip in die Karibik jedoch nicht mit dem studentischen Budget vereinbar ist, gibt es nur eine Alternative: die Ananas. Schon 1520 wusste der spanische Historiker Gonzalo Fernández de Oviedo y Valdés, dass es keine andere Frucht auf der Welt gibt, die ihr in Erscheinung und Geschmack gleicht. Als Christoph Kolumbus von seinen Reisen heimkehrte, hatte er zwar Amerika entdeckt, aber lag der wahre Reichtum nicht vielmehr in der Ananas, die er nach Europa überführte? Von dort an war der Siegeszug der goldgelben Frucht nicht aufzuhalten. „Was mich angeht, so würde ich lieber Ananas in Alaska züchten, als Bundeskanzler zu sein“, lobpreiste einst selbst Franz Josef Strauß.
Kein anderes Bromeliengewächs bildet die Verbundenheit der Welt so anschaulich ab wie die Ananas: Nachdem ein deutscher Fernsehkoch sie erstmalig auf Toastscheiben drapierte, kombinierte ein griechischer Koch in Kanada eine italienische Erfindung mit einer in Südamerika heimischen Frucht und benannte die neue Kreation, die sich heute in Australien größter Beliebtheit erfreut, nach einem US-Bundestaat.
Kurzum: Ananas ist ein Sehnsuchtsprodukt. Pizza Hawaii ein Strohhalm für all jene, die von Sonne und Meer träumen, aber stattdessen bei Glatteis zur Uni schlittern. Baumwollschal statt Blumenkette.
Nur ein Narr kann diesen Menschen vorwerfen, dass die herrliche Frucht auf Hefeteig platziert gegen fadenscheinige lokalpatriotische Konventionen verstößt, die in Zeiten der Globalisierung zudem ganz und gar antiquiert wirken.
Von Jesper Klein
Contra
„Comfort Food“ nennt man es im Englischen – Gerichte, die neben hohem Kaloriengehalt verehrte Sentimentalitätsträger sind. Charakteristisch durch ihre traditionelle und simple Zubereitung, handelt es sich bei diesem Essen um mehr als nur eine Befriedigung des Hungers. Vielmehr gelangt man mit jedem Bissen auch zu einem Stück Heimat, zu einem nostalgischen Erinnern an das Zusammensein mit Freunden und Familie. Pizza ist eines dieser Gerichte und das wohl größte Geschenk, das Italien der Welt machen konnte; Pizza Hawaii hingegen ist die kulinarische Antwort auf das Trojanische Pferd.
In unserer globalisierten Gesellschaft scheint es angebracht und bereichernd zu sein, so viele exotische Zutaten wie möglich in seine tägliche Nahrungsbereitung zu integrieren. Und daran ist auch nichts Verwerfliches: Schließlich ist die Pizza selbst ein langjähriger Export-Weltmeister, von dem auch wir profitieren. Der wahre Erfolg dieses Hefe-Wunders liegt allerdings genau darin: Durch die Pizza begegnet man einem klassisch italienischen Geschmack in seiner Reinheit, dessen Authentizität durch die beißende Süße der Ananas in Frage gestellt wird.
Die „Hawaii-Mania“ scheint nicht von der Liebe zur Ananas motiviert zu sein, sondern wie so oft einem Individualismus-Wunsch nachzueifern: Das Essen der untypischen Kombination wird als „Ich bin anders!“, „Ich bin exotisch!“-Statement verwendet, um sich vom bewährten Original abzuheben; die eigene Ernährung dem Entscheidungsvermögen eines Mannes anvertraut, der einen gesamten Kontinent verfehlt hat. Dabei bedeutet „neu“ nicht immer gleich „besser“ – und so lieben wir unser „Comfort Food“ nicht, weil es uns etwas Neues bietet, sondern an etwas Geliebtes erinnert.
Von Sonali Beher