Psychologisch angepasste Online-Werbung soll Präsident Trump den Wahlsieg beschert haben. Heidelberger Psychologen sind skeptisch
„Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“ lautet der Titel eines vielbeachteten Artikels der Schweizer Wochenzeitung Das Magazin. Darin wird der Ausgang der US-Wahl mit Donald Trumps neuartiger Gestaltung des Online-Wahlkampfs begründet: Basierend auf der Kombination aus Facebook-Daten und einem psychologischen Persönlichkeitsmodell habe die von Trump engagierte Analysefirma Cambridge Analytica dazu beigetragen, das Wahlverhalten der US-Bürger gezielt zu beeinflussen. Es folgte eine Debatte über die Macht von Big-Data zur Wahlmanipulation und die mögliche Nutzung dieser Techniken in den kommenden europäischen Wahlkämpfen.
Daniel Vetter, Politikberater und an der Universität Heidelberg promovierter Psychologe, warnt davor, den Wahlerfolg Trumps direkt mit den Marketing-Methoden des Unternehmens in Verbindung zu bringen.
Dem Artikel zufolge verwendet die britische Analysefirma ein Verfahren, welches sich an Erkenntnissen aus Psychometrie- und Big-Data-Forschung bedient. Psychometrie ist ein Teilgebiet der Psychologie, welches sich mit der Vermessung der Psyche befasst. Personenmerkmale, wie Intelligenz oder Persönlichkeit, die man nicht direkt beobachten kann, werden messbar gemacht und in Zahlen erfasst. In diesem Fall sollen mit Hilfe von Facebook-Daten Persönlichkeitseigenschaften von Internetnutzern vorhergesagt werden.
Hierzu wird das in der Persönlichkeitspsychologie gebräuchliche Big-Five Modell genutzt. Das Modell geht davon aus, dass die individuelle Persönlichkeit anhand von fünf Faktoren beschrieben werden kann: Extraversion (Geselligkeit), Neurotizismus (Verletzlichkeit), Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Zur Erfassung dieser Persönlichkeitsfaktoren arbeitet man mit Fragebögen.
Analyseunternehmen wie Cambridge Analytica integrieren diese Fragebögen in Online-Applikationen, wie Intelligenz- oder Persönlichkeitstests, um die Charaktereigenschaften von Facebook-Nutzern zu erfassen. Wer einen Online-Persönlichkeitstest durchführen möchte, willigt ein, dass das Unternehmen Zugang zu den Facebook-Daten des Nutzers erhält.
Die erfassten Persönlichkeitsdaten werden anschließend mit „Gefällt mir“- Angaben und demografischen Informationen der Nutzer abgeglichen, wodurch sich statistische Zusammenhänge zwischen verschiedenen Persönlichkeitstypen und anderen Online-Daten ergeben.
Mit Hilfe dieser Zusammenhänge lassen sich anschließend Wahrscheinlichkeitsaussagen über bestimmte Merkmalsausprägungen von Facebook-Nutzern treffen: So weiß man beispielsweise, dass ein Lady-Gaga-Follower wahrscheinlich eine hohe Ausprägung für Extraversion zeigt. Je mehr Informationen über einen Nutzer zur Verfügung stehen, desto genauer werden diese Voraussagen. Auch über Charaktereigenschaften, die online nicht angegeben wurden, wie sexuelle Orientierung oder Drogenkonsum, lassen sich Aussagen treffen. Es wurde gezeigt, dass anhand von durchschnittlich 68 „Gefällt mir“-Angaben die politische Orientierung einer Person zu 85 Prozent richtig vorhergesagt werden kann.
Über 100.000 Amerikaner sollen an dem Persönlichkeitstest von Cambridge Analytica teilgenommen haben. Aus diesen Daten entwickelte das Unternehmen ein Modell, mit dem Ziel, die Persönlichkeit jedes erwachsenen US-Bürgers vorherzusagen. Diese Informationen werden unter anderem genutzt, um Parteien zielgerichtete, auf die psychologischen Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmte Werbemaßnahmen zu ermöglichen. Will man beispielsweise für Waffenbesitz werben, bekommt ein eher ängstlicher Wähler eine Facebook-Anzeige geschaltet, auf der eine bedrohliche Einbrecherhand und eine zerbrochene Fensterscheibe zu sehen sind. Damit soll an das Sicherheitsbedürfnis der Person appelliert werden. Einem geselligen Familienvater würde hingegen ein Bild von Vater und Sohn bei der Jagd in der Prärie angezeigt, um Traditionsbewusstsein und Gemeinschaftsgefühle hervorzurufen. Diese Art von persuasiver Werbung wird Mikrotargeting genannt.
Im Gegensatz zur herkömmlichen Einteilung der Bevölkerung anhand von demografischen Kriterien werden Wählergruppen nach komplexeren Datenmustern eingeteilt. Im US-Wahlkampf soll unter anderem gezielt nach unentschlossenen Wählern der Demokraten gesucht worden sein, um diese von der Wahl abzuhalten. Zum Beispiel mit personifizierten Werbemaßnahmen oder im Gespräch mit Wahlkampfhelfern, die an die Bewohner eines Hauses abgestimmte Gesprächsleitfäden erhielten, um sie von Trump zu überzeugen.
Daniel Vetter relativiert in einem Gastbeitrag auf dem Psychologieblog von Joachim Funke, Professor für Allgemeine Psychologie an der Universität Heidelberg, die Aussagen des schweizer Artikels: Nur weil Trump personifizierte Wahlwerbung nutzte und danach Präsident wurde, ließe dies keine Aussagen über die Kausalität der Ereignisse zu.
Dirk Hagemann, Heidelberger Professor für Persönlichkeitspsychologie, bestätigt dennoch, dass Online-Informationen Aufschluss über die Persönlichkeit der Nutzer geben. Auf die Frage, ob Mikrotargeting folglich Auswirkungen auf die Wahlentscheidung von einigen Bürgern haben könnte, erläutert er, dass diese Methoden durchaus das Potential zur „Verbesserungen des Wahlergebnisses haben“. Das Ausmaß des Einflusses schätzt er dennoch als gering ein: „Ein paar Prozent der Wähler wird man auf diese Weise mit Sicherheit erreichen können“. Man solle aber nicht davon ausgehen, die breite Wählermasse dadurch beeinflussen zu können.
Big-Data-Psychometrie, die ohne theoretische Vorannahmen nach Zusammenhängen sucht, lässt genaue Vorhersagen über Wählerverhalten zu. Dennoch verteidigt Daniel Vetter in seinem Artikel die theoriebasierten Methoden der Persönlichkeitspsychologie. Theoretisch fundierte Tests bieten den Vorteil, dass sie Verhalten nicht nur vorhersagen, sondern auch erklären können: „Psychologie sollte mehr sein als bloße Wetter- oder Wahlvorhersage.“
Abschließend verweist er auf ungeklärte ethische Fragen in Bezug auf den Einsatz von Mikrotargeting: „Statt durch statistische Modelle niedrig hängende „Wählerfrüchte“ zu ernten, beziehungsweise die hoch hängenden gezielt zu ignorieren, sollte die Diskussion endlich stärker dahingehend geführt werden, wie wir an diesen Stellen mehr verstehen können.“
Unter diesen Vorbehalten akzeptiere er Big Data als Methodik für zukünftige Persönlichkeitsforschung.
Auch Dirk Hagemann erläutert, dass er von nun an für Big-Data-Psychometrie sensibilisiert sei und diesen Bereich nun mit Interesse beobachten werde.
Zukünftige Forschung muss zeigen, wie groß der Effekt von psychologisch angepassten Mikrotargeting-Methoden auf das tatsächliche Verhalten der Wähler ist. Dann wird man auch besser einschätzen können, ob Big Data wirklich der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte und Donald Trump den Wahlsieg bescherte.
Von Fynn Ole Wöstenfeld