Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein umstrittener Vorschlag, um wachsende Ungleichheit und Armut zu bekämpfen. Jeder Bürger eines Landes soll genug Geld zur Lebensführung erhalten – ganz ohne Leistung und Prüfung. Ist jetzt die Zeit dafür?
Die Arbeitswelt prekarisiert sich zunehmend. Daher hoffen Bezieher staatlicher Transferleistungen (Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe), die sich von ihrem Jobcenter gegängelt fühlen, aber auch Geringverdiener, Soloselbstständige und Studierende, die keine beruflichen Perspektiven für sich erkennen, auf eine gesicherte Zukunft durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, das Inländern ohne Bedürftigkeitsprüfung gezahlt werden soll.
Alle übrigen Sozialleistungen könnten abgeschafft und alle sozialpolitisch motivierten Regulierungen des Arbeitsmarktes gestrichen werden. Womöglich gäbe es keinen Schutz vor Kündigungen mehr, sondern bloß noch betriebliche Abfindungsregeln. Flächentarifverträge wären genauso entbehrlich wie Mindestlöhne. Schließlich müsste kein Beschäftigter mehr durch sie geschützt werden, wenn der Staat sein Existenzminimum garantieren würde, ohne von ihm zu verlangen, dass er arbeitet.
Was vielen als „Schlaraffenland ohne Arbeitszwang“ erscheint, wäre in Wirklichkeit ein Paradies für Unternehmer. Arbeitnehmer hätten weniger Rechte als bisher und Gewerkschaften keine (Verhandlungs-)Macht mehr.
Auf ungleiche Einkommens- und Vermögensverhältnisse würde mit einer Geldzahlung in gleicher Höhe reagiert, obwohl Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden muss, soll es gerecht zugehen.
Außerdem stellt die Finanzierung des Grundeinkommens seine Befürworter vor ein Dilemma: Entweder erhält jeder Bürger das Grundeinkommen, unabhängig von seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen. In diesem Fall müssten riesige Finanzmassen bewegt werden, die das Steueraufkommen von Bund, Ländern und Gemeinden übersteigen, die öffentliche Armut vermehren dürften und die Verwirklichung des BGE per se ins Reich der Utopie verweisen.
Außerdem würde sich unter Gerechtigkeitsaspekten die Frage stellen, warum selbst Milliardäre vom Staat monatlich ein von ihnen vermutlich als „Peanuts“ betrachtetes Zubrot erhalten sollten, während beispielsweise Schwerstbehinderte viel mehr als den für alle Bürger einheitlichen Geldbetrag viel nötiger hätten.Oder wohlhabende und reiche Bürger bekommen das Grundeinkommen nicht, beziehungsweise im Rahmen der Steuererhebung wieder abgezogen.
Dann wäre es weder allgemein und bedingungslos, noch entfiele die Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, müsste doch in jedem Einzelfall herausgefunden werden, ob die Anspruchsvoraussetzungen nicht durch (verdeckte) anderweitige Einkünfte verwirkt sind. Hinsichtlich seiner Kontrollfunktion träte das Finanzamt an die Stelle des Jobcenters.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist nach dem Lebensmodell eines reichen Müßiggängers konstruiert und erweckt den Eindruck, als wollten seine Anhänger den Kommunismus im Kapitalismus verwirklichen. Ein nicht auf Erwerbsarbeit gegründetes „leistungsloses“ Einkommen erscheint vielen Zeitgenossen zwar als schöne Utopie. Diese lenkt jedoch von konkreten politischen Schritten ab, die hier und jetzt für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgen könnten.
Nötig wären eine stärkere Besteuerung großer Einkommen, Vermögen und Erbschaften sowie der Ausbau des bestehenden Sozialsystems zu einer Bürgerversicherung, in die Selbstständige, Freiberufler und Beamte genauso einbezogen sein müssten wie Abgeordnete und Minister. Als willkürliche Grenzen der Solidarität erscheinende Beitragsbemessungsgrenzen müssten auf- oder drastisch angehoben, alle Einkunftsarten – auch Zinsen, Dividenden, Tantiemen sowie Miet- und Pachterlöse – verbeitragt werden. In die solidarische Bürgerversicherung einzubetten wäre eine soziale Grundsicherung, die bedarfsgerecht, armutsfest und repressionsfrei sein müsste.
Christoph Butterwegge lehrte von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln