Studierende schieben Unangenehmes gerne auf. Doch Prokrastination muss nicht zwangsläufig zum Problem werden
Wer kennt das nicht: Der Referatstermin liegt in weiter Ferne, das Thema ist schon bekannt und die dazugehörige E-Mail des Dozenten platzt durch die verwendbare Literatur aus allen Nähten. Eigentlich könnte man sich nun entspannt an die Arbeit machen und die Aufgabe ohne größeren Stress bewältigen. Aber man hat ja noch Zeit … Aufschieberitis, in der Fachsprache Prokrastination genannt, dürfte den meisten Studierenden bekannt sein. Sie bezeichnet den Vorgang, trotz vorhandener Möglichkeit und Zeit eine Aufgabe zu verschieben und oft erst nach langer Zeit und kurz vor Ende einer Frist anzugehen. Anstelle der wichtigen Aufgabe werden alternative Tätigkeiten bewältigt, die nicht die gleiche Relevanz besitzen, aber angenehmer erscheinen. Ein typisches Beispiel ist, die Wohnung zu putzen, wenn eigentlich das Lernen für eine Klausur geplant war. Die Gründe für Prokrastination können unterschiedlich sein: die Angst vor dem Versagen, mangelnde Organisation und Selbstregulierung, aber auch der Wunsch nach schneller Bedürfnisbefriedigung oder der akut fehlende Druck.
Allerdings ist eine alltägliche von einer pathologischen Prokrastination zu unterscheiden. Schätzungen gehen davon aus, dass der größte Teil der Bevölkerung aufschiebt. Unter Studierenden sollen es sogar 95 Prozent sein, die Zahlen schwanken aber je nach Studie erheblich. Der Großteil kommt jedoch gut mit seiner Aufschieberitis zurecht.
Wer ernsthaft an Prokrastination leidet, gehört zur deutlich kleineren Gruppe und beendet seine Aufgaben erst sehr spät unter erheblichem Druck. Oft kann er sie überhaupt nicht bewerkstelligen. Damit einher gehen schlechtere Leistungen und anhaltende Unzufriedenheit, Druckgefühle und Angst sowie unter Umständen ein schwächeres Selbstbewusstsein bis hin zur Depression. Der Psychologe Jin Nam Choi bezeichnet dies als „passive“ Prokrastination.
Eine andere Form der Prokrastination sei weniger problematisch und bringe manchen Menschen sogar Vorteile. Die „aktive“ oder „kreative“ Prokrastination beschreibt das absichtliche Verschieben einer Aufgabe, um diese unter dem benötigten Druck der Deadline in kurzer Zeit zu erledigen. Im Gegensatz zu denjenigen, die „passiv“ aufschieben, leiden sie nicht darunter, sondern fühlen sich dadurch motiviert oder herausgefordert, die Frist einzuhalten. Die Kunst ist es zudem, verschiedene unangenehme Aufgaben gegeneinander auszuspielen. So verschiebt man das eine Projekt, während man an einem anderen Projekt arbeitet. Auf diese Weise kann beim Aufschieben einiges erledigt werden.
Um jedoch ernstere Probleme zu vermeiden, sind hier einige Tipps, um der Aufschieberitis Herr zu werden:
Ein Hilfsmittel ist die Prioritätenmatrix nach Eisenhower. Sie besteht aus einem Quadrat, dass in vier kleinere Quadrate aufgeteilt wird. Sie sind beschriftet mit „Dringende und wichtige Aufgaben (A)“, „Wichtige Aufgaben (B)“, „Dringende aber unwichtige Aufgaben (C)“ und „Irrelevante Aufgaben (D)“.
Die Aufgaben in A sollten mit höchster Priorität bearbeitet werden. Ist dort alles erledigt, rücken die Aufgaben aus den anderen Bereichen auf, sodass die Dinge von B nun in A stehen. Das Prinzip der Visualisierung ist hier maßgebend. Wer weiß, dass er sich nicht an diese Taktik hält, der kann gleich zum „aktiven“ oder „kreativen“ Aufschieben greifen und die dringendsten und wichtigsten Aufgaben nicht in den Bereich A, sondern in den Bereich B schreiben. Im Idealfall werden nun die in Wirklichkeit nicht so wichtigen Aufgaben verschoben und stattdessen die wirklich prekären erledigt.
Eine weitere Methode ist die Frage „Was habe ich davon?“. Motivation stellt sich ein, wenn wir positive Gründe für unser Tun finden. Können wir keine positiven Aspekte erkennen, so fällt es uns schwer, uns zu motivieren. Sich zu fragen, was man von einer jeweiligen Aufgabe und derzeitigen Lebenssituation hat, wie zum Beispiel dem Studium, kann gute Gründe für das Weitermachen offenbaren. Hilfreich ist es auch, sich bildlich vorzustellen, die Aufgabe sei erfolgreich und mit Bravur erledigt. Welches gute Gefühl würde man dann genießen?
Wer während der vorlesungsfreien Zeit keine Motivation für seine Hausarbeit findet, der sollte sich nicht im Schlafanzug an den Schreibtisch setzen. Kleidung wirkt auch auf unsere innere Haltung und unser Denken ein. In ihrer Untersuchung „Enclothed Cognition“ fanden die Psychologen Galinsky und Adam heraus, dass ein Arztkittel leistungsfähiger mache als ein legerer Aufzug. Die Probandinnen und Probanden mit Kitteln machten deutlich weniger Fehler bei den ihnen gestellten Aufgaben, wohingegen ein Malerkittel zu schlechteren Ergebnissen führte als normale Alltagskleidung. Unsere Leistungsfähigkeit wird durch Assoziationen mit der Kleidung beeinflusst.
Ergänzend soll es hilfreich sein, einen geregelten Tagesablauf zu haben, morgens stets um dieselbe Uhrzeit aufzustehen oder andere alltägliche Rituale einzuführen, die jeden Tag strukturieren. Dadurch kann das Gefühl von Hilflosigkeit und Stress reduziert werden, das oft mit der Prokrastination einhergeht.
Für alle Studierenden der Universität Heidelberg mit Aufschieberitis empfiehlt sich ein Gespräch bei der Psychosozialen Beratung des Studierendenwerks. Sie ist kostenlos und bietet die Möglichkeit, die Gründe für Prokrastination zu ermitteln und das Problem von psychologischer Seite aus anzugehen. Ebenfalls hilfreich sind Kurse der Zentralen Studienberatung, beziehungsweise des Career Service zu diesem Thema. In ihnen werden Ursachen und Strategien besprochen und durch die kleine Teilnehmerzahl kann auf viele der persönlichen Anliegen eingegangen werden. Auch das Wissen darum, dass man nicht alleine ist, kann helfen, sich besser zu fühlen.
Von Alexander Eckerlin