Seit Dezember ist Locomore zwischen Stuttgart und Berlin unterwegs. Wir sind mitgefahren und haben den Deutsche Bahn-Konkurrenten getestet
Für das neue Zugunternehmen spricht: Mein Ticket nach Berlin kostet mit drei Wochen Vorlauf 20 Euro ohne Umsteigen. Natürlich gibt es auch von der Deutschen Bahn immer wieder gute Sparangebote, aber dazu braucht es Glück und gute Planung. Das günstige Ticket, das auch eine Sitzplatzreservierung beinhaltet, ist kein Zufall, sondern gehört zu der Politik Locomores, wo ein Ticket immer weniger kosten soll als die gleiche Strecke mit einer BahnCard 50 bei der Deutschen Bahn. Kaufen kann man die Tickets im Internet oder am Telefon, Fahrkartenautomaten gibt es keine, aber beim Schaffner kann man auch noch im Zug Tickets nachlösen.
Bis Mitte Januar fuhr Locomore einmal am Tag von Heidelberg ab. Da das Unternehmen nur einen Zug zur Verfügung hat, der bei der Sieben-Tage-Woche im Dauereinsatz zwischen Schwaben und Spree hin- und herpendelt, konnten so keine Wartungsarbeiten durchgeführt werden. Deshalb wurden kürzlich drei Fahrten pro Woche gestrichen.
In Heidelberg fährt Locomore leider morgens um 7:17 Uhr ab, an einem Sonntagmorgen im Januar eine düstere Uhrzeit. Doch als ich am Gleis ankomme, gleich der zweite Schock: Das akademische Viertel für die Ankunft von Fernverkehrszügen, mit dem bei der Deutschen Bahn zu rechnen ist, scheint bei Locomore nicht zu gelten. Stattdessen stehen neun alte IC-Wagen, in Rumänien renoviert und in knalligem Orange angestrichen, vor mir. Die Zugwagen sind heute in umgekehrter Reihenfolge, weswegen mich zwei Schaffner durch den Zug zu meinem Sitzplatz bugsieren. In den moderneren Wagen sorgt eine Klimaanlage für die richtige Temperatur, bei den weniger renovierten kann man die Fenster öffnen. Alle Wagen sind mit so viel Begeisterung beheizt, dass ich im T-Shirt durch das verschneite und bereifte Deutschland fahre.
7:58 Uhr, Darmstadt
Bremsen will gelernt sein. Die junge Frau in Jogginghosen, die sich auf den Sitzen gegenüber ausgebreitet hat, rollt fast auf meinen Sitzplatz. Dramatisch, aber pünktlich kommen wir in Darmstadt an. Bei der Sitzplatzbuchung im Internet kann man nicht nur zwischen Großraumabteil und Sechserabteilen, sondern auch unter verschiedenen Themenabteilen wählen. Egal ob Schach, Stricken, Kryptologie oder Ruhe – für jedes Thema findet sich der passende Sitzplatz. Sollten die eigenen Interessen noch nicht vertreten sein, kann man Locomore eine Mail schreiben. Theoretisch eine schöne Idee, die gut in das individualistische Konzept von Locomore passt, in der Praxis gestaltet sie sich jedoch schwieriger als gedacht: Seit der letzten Fahrt wurden die Themen in den Abteilen noch nicht wieder richtig zugeteilt, weshalb ich statt im Abteil für nachhaltiges Leben im Abteil „Kaffeeklatsch“ lande. Generell scheint die Idee im Buchungsvorgang eher unterzugehen, wie meine ahnungslosen Mitfahrer beweisen.
10:24 Uhr, Göttingen
Im Abteil wird geflucht – das WLAN funktioniert nicht, womit strebsames Arbeiten als Programmpunkt flachfällt. Unüblich scheint der Ausfall ebenfalls nicht zu sein. Auf der Suche nach einer Toilette überhöre ich ein Gespräch zwischen Schaffnerin und Fahrgast: „Das mit dem WLAN ist immer eine Art Roulette.“ Drei von vier Toiletten sind nicht benutzbar, aber die vierte ist sauber und mit Toilettenpapier ausgestattet.
11:47 Uhr, Wolfsburg
Locomore versucht sich in erster Linie mit seinem umweltfreundlichen Konzept gegen die Konkurrenz durchzusetzen, wozu nicht nur das Fahren mit Ökostrom, sondern auch ein breites Angebot an fair gehandelten Biogerichten gehört. Die Salate und Sandwiches sind mit vier bis sechs Euro zwar nicht billig, aber vertretbar. Kaffee für 1,80 Euro passt da schon eher in den studentischen Geldbeutel. Nachdem die Durchsage „Snacks wie Kaffee und Tee“ mich zum Bordrestaurant lockt, gibt es dort leider nur ein paar Schokoriegel und Getränke, da der Kühlwagen kaputt ist.
13:05 Uhr, Berlin Hauptbahnhof
Wir schaffen es ohne Zwischenfälle zum Berliner Hauptbahnhof. Das Fazit lautet: Das über Crowdfunding finanzierte Start-Up muss noch einige Schwachstellen ausbessern, ist aber jetzt schon mit günstigen Preisen und einer relativ kurzen Fahrzeit als Option in Betracht zu ziehen.
Viola Heeger