Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein umstrittener Vorschlag, um wachsende Ungleichheit und Armut zu bekämpfen. Jeder Bürger eines Landes soll genug Geld zur Lebensführung erhalten – ganz ohne Leistung und Prüfung. Ist jetzt die Zeit dafür?
Eine unmittelbare Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens ist notwendig. Nicht, weil dieses uns in die falsche Utopie des Kapitalismus’ mit einem möglichst umfassenden Wohlfahrtsstaat führt. Im Gegenteil: Es würde uns dazu anregen, die Beziehung zwischen Einkommen und Arbeit sowie die gesellschaftliche Wertsetzung und -schätzung neu zu überdenken. Eine solche Maßnahme vermag es, durch eben diese Reflexion eine neue Debatte über eine postkapitalistische Gesellschaft zu eröffnen und uns somit aus den breiten Problemen, mit welchen der neoliberale Kapitalismus unsere Gesellschaften aktuell konfrontiert, herauszuführen.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen muss also folgende Kriterien erfüllen, um seinem Namen gerecht zu werden: Erstens muss es, ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Lohnarbeit, ein würdiges Leben finanziell möglich machen. Zweitens muss es für ausnahmslos alle Mitglieder einer Gesellschaft gelten. Drittens kann es den Sozialstaat nicht ersetzen. Er muss trotzdem bestehen bleiben.
Lokale Versuche der Einführung eines BGE unter anderem in Kanada (Mincome-Projekt) und Nairobi (BIG-Projekt im Dorf Otjivero) zeigen, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens die Gesundheit der vor Ort lebenden Menschen verbessert, sich positiv auf die Raten des Schulbesuchs und des Erwerbs von Abschlüssen auswirkt und Kriminalitätsraten zu senken vermag. Zur selben Zeit, in der sich derartige, positive Effekte einstellten, war es keineswegs so, dass es zu einem Erliegen der wirtschaftlichen Tätigkeiten kam. Viel eher war ein Aufblühen dieser zu beobachten. Ähnliche Beobachtungen stützt Thomas Piketty, wenn er zeigt, dass soziale Gleichheit und Umverteilung sinnhaftes wirtschaftliches Wachstum und eine angemessene Effizienz keineswegs hindern.
Abseits dieser offensichtlichen Leistung des bedingungslosen Grundeinkommens besteht die Notwendigkeit seiner Einführung jedoch darin, dass seine Implementierung in der Lage ist, auf breiter gesellschaftlicher Ebene den Zusammenhang von Einkommen und Arbeit zur Diskussion zu stellen. Der neoliberale Kapitalismus hat als Wirtschaftsform und als politisches Projekt prekäre Formen der Arbeit und Existenz hervorgebracht. Noch immer stellt sich daher die Aufgabe, einen Ausweg aus dem Umstand zu finden, dass der Verkauf der eigenen Arbeitskraft sich nur unwesentlich vom Zustand der Sklaverei unterscheidet.
Die menschliche Existenz verdient Würde. Eine Würde, welche in ihren Ansätzen nur über die Sicherung der materiellen Grundlagen herzustellen ist. Nur diese schafft die Möglichkeit für die Existenz von Freiheit, Gerechtigkeit und Grundrechten. Unbestreitbar ist es für unsere aktuellen Gesellschaften möglich, diese Grundlage heute global und universell herzustellen.
Dass ein Einkommen nur durch Lohnarbeit möglich sei, ist ein zwanghaft wiederholtes Diktum. Viele Angestellte empfinden ihre Anstellung als unnötig und sinnlos. Um uns aus diesen demütigenden Mechanismen des Arbeitsmarktes zu befreien, müssen wir uns von diesem Axiom lösen. Welche Art der Anerkennung verschiedenen Tätigkeiten zuteil wird und in welchem Ausmaß diese gewährt wird, kann somit in kollektiver Debatte neu ausgehandelt werden.
Für uns als Studierende kann ein Bedingungsloses Grundeinkommen endlich bedeuten, dass unsere Bildung sich vom Dogma der Mobilmachung für den Arbeitsmarkt zu lösen vermag. Wir müssten uns nicht um die Verwertbarkeit unseres Studiums sorgen, sondern unseren tatsächlichen Neigungen nachgehen und uns Bildung aneignen, die den Namen auch verdient.
Unsere Gesellschaft muss die Zusammenhänge von Wertzuschreibung, Arbeit und Einkommen neu verhandeln, wenn sie den ökonomischen, sozialen und politischen Krisen ihrer Zeit begegnen will.
Christian Schirmer studiert Ethnologie und finanziert seinen Lebensunterhalt durch einen Nebenjob