Die Heidelberger „Unterstützer der Gruppe Aktionen für das Buch“ protestieren mit einem Flugblatt gegen die Entscheidung der Deutschen Nationalbibliothek, Bücher nur noch digital „auszuleihen“
Am 2. Februar kam es in Heidelberg zu einer archaisch wirkenden Protestaktion mittels eines Flugblatts. Die Wahl dieses Mediums ist allerdings folgerichtig, Gegenstand des Protests ist nämlich die Entscheidung der Deutschen Nationalbibliothek (DNB), Lesern vorrangig eine digitale Version des gewünschten Buches zur Verfügung zu stellen. Begründet wird dies lapidar mit Gründen des Bestandsschutzes: „Angesichts der anhaltend hohen Ausleihfrequenz müssen wir uns allerdings um den physischen Erhalt unserer Bücher sorgen“ heißt es in einem Aushang der DNB.
Diese Entscheidung wird nicht nur in großen Zeitungen kritisiert (FAZ vom 30. November 2016 und FAS vom 8. Januar 2017), es hat sich auch eine Interessengemeinschaft „Aktionen für das Buch“ gebildet, begründet durch Alexander Losse, die samstags um 12 Uhr in Frankfurt am Main gegen diese weitreichende Entscheidung protestiert. Für diese Proteste wirbt das Flugblatt.
Warum sollten sich Heidelberger Studierende und Universitätsangehörige dafür interessieren? Wir haben doch unsere Universitätsbibliothek und Seminarbibliotheken, welche uns unglaubliche Mengen an Büchern „real“ zur Verfügung stellen. Aber wie lange noch? Die DNB hat Vorbildcharakter, und es steht zu befürchten, dass dieses Vorbild schnell Schule machen wird und andere Bibliotheken ebenso dazu übergehen werden, „vorrangig“ Digitalisate zur Verfügung zu stellen. Der Bestandsschutz wird nicht der eigentliche Grund sein, ist doch anzunehmen, dass vor allem eines mit dieser Entscheidung beabsichtigt ist: In Zukunft sollen Publikationen nur noch in digitaler Form angeschafft und zur Verfügung gestellt werden, weil die Kapazität aller großen Bibliotheken endlich ist. Indes ist die Vorstellung, dass die digitale Speicherung und Bereitstellung all der Literatur günstiger ist als ihr „analoges“ Pendant, laut Michael Hagner zu bezweifeln: In dessen Werk „Zur Sache des Buches“ liest man, die digitale Speicherung eines Regalmeters Literatur sei neunmal teurer, als die analoge Aufbewahrung. Die Frage ist gleichviel berechtigt, wie lange Institutionen wie die DNB noch in der Lage sein werden, den enormen Ausstoß an Publikationen in „analoger“ Form aufzunehmen. Hier drängen sich geradezu Kompromiss-Lösungen auf: Es wäre doch schon etwas gewonnen, nur bestimmte Publikationen allein digital zur Verfügung zu stellen und anzuschaffen, etwa wenn feststeht, dass nur ein sehr kleiner Personenkreis Interesse an dieser Publikation hat – etwa im Falle wissenschaftlicher Sammelbände. Aber einen Kompromiss gibt es nicht, alle Veröffentlichungen sollen digital verliehen werden.
Abgesehen davon, dass nicht jeder Nutzer die bereitgestellten Daten „lesen“ kann, bestehen doch augenscheinliche Gründe dafür, am Buch festzuhalten. Noch überwiegen die Vorteile ohne Zweifel: die Unabhängigkeit von technischen Hilfsmitteln und von Elektrizität; die bessere Lesbarkeit von Texten, die auf Papier gedruckt sind; die Haptik eines Buches beziehungsweise des Papiers; das leichtere „Arbeiten am Text“; die höhere Wertschätzung eines Textes, wenn dieser „greifbar“ ist – um die wichtigsten Argumente nur stichwortartig aufzuzählen.
Natürlich haben Digitalisate ihre Daseinsberechtigung, aber bitte nur neben dem Buch. Deswegen sollten Heidelberger Studierende, Angehörige der Universität und alle, die Bücher und Texte schätzen, nach Frankfurt am Main fahren, um gegen die Selbstabschaffung der Bibliotheken zu protestieren – jeden Samstag um 12 Uhr vor der Nationalbibliothek. Und nehmen Sie ein Buch mit, zur symbolischen Unterstreichung des Anliegens.
Von Florian Schmidgall