Das Lyrikdebüt eines jungen Istanbuler handelt von seiner ganz eigenen „Spurensuche“. Er will damit beweisen, wie aktuell und wichtig Poesie auch heute noch ist
Safak Saricicek ist 24 Jahre alt und studiert Jura im neunten Semester in Heidelberg. Seit dem 1. März ist sein Lyrikdebüt „Spurensuche“ auf dem Markt. Im Interview erzählt er unter anderem von magischen Momenten und seiner Heimat Istanbul.
Was ist das für ein Gefühl, sein eigenes Lyrikdebüt zu geben?
Safak Saricicek: Das ist ein sehr aufregendes Gefühl, weil es nicht immer so einfach ist, etwas zu publizieren – besonders, wenn man in der Branche noch sehr jung ist. Auf jeden Fall ist das eine schöne Erfahrung, weil es etwas sehr Intimes ist. Es geht dabei auch um mein Wesen und persönliche Erlebnisse. All das mit anderen Menschen zu teilen, die das vielleicht nachempfinden können, ist aufregend. Ein bisschen stolz bin ich natürlich auch.
Du studierst und schreibst nebenher. Wie schaffst du das zeitlich?
Saricicek: Das Jurastudium nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Gerade in lernaufwendigen Phasen komme ich gar nicht zum Schreiben. Wenn ich aber Ferien habe oder bei meiner Familie in Istanbul bin, investiere ich sehr viel Zeit ins Schreiben. Ich bin da allerdings nicht sehr multitaskingfähig. Wenn ich das eine tue, dann muss ich auf das andere völlig verzichten. Deshalb zieht das Schreiben mein Studium schon ein wenig in Mitleidenschaft. Aber ich wollte auch auf keines von beiden verzichten. Ich finde sowohl das Studium schön als auch die Literatur.
Lyrik und Jura ist eine recht ungewöhnliche Mischung – wie passt das für dich zusammen?
Saricicek: Auf den ersten Blick wirkt es so, als ob sich das widersprechen würde. Das Jurastudium ist extrem strukturiert, beinahe einengend. Die Lyrik spricht mehr für Freiheit. Durch sie setzt man sich über Konventionen hinweg. Es gibt aber auch einige Gemeinsamkeiten. Ich benutze in der Lyrik zum Beispiel viele Begriffe, die eher typisch juristisch sind. Die juristische Denkweise formt auch meinen kreativen Prozess. Ohne Jura finde ich mich viel zu anarchisch. Ich fühle mich haltlos. Das Juristische gibt mir ein logisch strukturiertes Vorgehen. Ich bändige sozusagen meine Kreativität mit den Instrumenten, die ich mir das Jurastudium gibt. Beides hat außerdem viel mit Sprache zu tun.
Worum geht es in deinem Buch?
Saricicek: Das Buch ist thematisch in fünf Blöcke aufgeteilt: Tod und Wandel, Politik (spezifisch bezogen auf die Türkei), Metaphysik, Suche und Liebe. Hauptsächlich geht es aber um die kleinen Momente, die eigentlich jeder sieht. Ich beobachte einen Moment und versuche darin das Magische zu sehen. Wir leben heutzutage so vor uns hin, schauen ständig auf unsere Smartphones, sind immer in Eile. Was ich in meinem Buch für mich versucht habe, ist das Innehalten. Das, was ich um mich herum sehe, auch wirklich wahrzunehmen.
Deshalb auch der Titel „Spurensuche“?
Saricicek: Das Buch hat ganz viele Funktionen für mich – der Titel „Spurensuche“ fasst das Ganze zusammen. Ich versuche diese magischen Spuren im Alltag zu finden. Das was jeden Moment schön und besonders macht, was sich aus dem Alltäglichen heraushebt. Genau diese kleinen Momente sind das Wichtige in unserem Leben und das vergessen wir oft.
Welche Rolle spielt die Türkei in deinem Buch?
Saricicek: Ich war letztes Jahr einen Monat in der Türkei und genau in dieser Zeit ist der Putschversuch passiert. An diesem Abend waren wir alle sehr aufgewühlt. Wir hatten so ein Gefühl von Instabilität und Unsicherheit. Daraufhin habe ich mich hingesetzt und ein Gedicht darüber geschrieben, um ein bisschen Normalität zu wahren und Ruhe zu finden.
Ist also der Großteil deiner Gedichte durch deine Heimat Istanbul inspiriert?
Saricicek: Istanbul war natürlich sehr prägend. In jedem Kapitel sind die anfänglichen Gedichte immer etwas kürzer. Das sind Gedichte, die ich noch in Istanbul geschrieben habe, als ich dort zur Schule ging. Aber auch mein einjähriger Erasmus-Aufenthalt in Kopenhagen und natürlich Heidelberg spielen eine große Rolle. Ich ziehe weder die Kultur dort noch die Kultur hier in irgendeiner Weise vor, sondern ich finde jede Kultur hat für sich etwas Schönes. Dann schließe ich die Augen und da ist das leere Blatt oder die Tastatur. Und all diese Erfahrungen fließen in die Lyrik mit ein.
Wie würdest du deinen persönlichen Stil beschreiben?
Saricicek: Meine Lyrik ist nicht verkünstelt. Es geht für mich nicht um die Kunst für die Kunst, sondern vielmehr um eine möglichst naturalistische, realistische Wiedergabe. Dabei nutze ich eine nüchterne Sprache. Ich möchte, dass meine Gedichte für viele Menschen gut verständlich sind. Ich denke, es ist eine ehrliche Lyrik. Was ich schreibe, habe ich in dem Moment auch wirklich so empfunden.
Wie kamst du auf die Idee dein eigenes Buch zu publizieren?
Saricicek: Bei mir hat es damit angefangen, dass ich im Online-Magazin Signaturen publiziert habe. Ein Verleger wurde dadurch auf mich aufmerksam. Er hat mich dann über Facebook kontaktiert und mich gefragt, ob ich ihm für einen Anthologiebeitrag ein paar Gedichte zusenden möchte. Ich war also erst in einer Anthologie vertreten. Das hat ihm gefallen und daraufhin hat er zu mir gesagt: „Ich bin jetzt einen Monat weg und wenn ich zurückkomme, schicke mir alles, was du hast.“ Dann habe ich wirklich einen Monat lang auf meiner Liege am Strand gelegen und jeden Tag Notizblätter vollgekritzelt und Gedichte geschrieben.
Mit welchen Herausforderungen und Schwierigkeiten wurdest du auf dem Weg bis zum fertigen Buch konfrontiert?
Saricicek: Im Lektoratsprozess zum Beispiel merkt man einfach, wie viel von dem, was man geschrieben hat, überflüssig ist. Da wird vieles weggeschnitten und das tut weh. Aber man merkt auch, wie wichtig und richtig das ist. Man muss eben immer einen Kompromiss finden. Es ist außerdem schwierig, dass es manche Gedichte in das Buch schaffen und andere nicht. Ich hatte schlussendlich über hundert Gedichte. Letztlich haben der Lektor und der Verleger die Auswahl getroffen. Die jetzige Herausforderung besteht aber darin, mein Buch zu verkaufen. Lyrik dann noch einmal an den Menschen zu bringen und zu zeigen, dass Lyrik auch heute noch sehr aktuell ist und wir sie brauchen, ist wirklich nicht leicht.
Wenn du zehn Jahre in die Zukunft blickst, siehst du dich dann eher als Jurist oder Autor?
Saricicek: Die Zukunft vorherzusagen ist natürlich eine unmögliche Angelegenheit. Ich würde aber definitiv mit der Lyrik aber auch der Prosa weitermachen. Ich weiß, dass ich mich noch sehr verbessern und an mir arbeiten muss. Das merke ich, wenn ich mich mit anderen Autoren unterhalte oder ihre Texte lese. Ich bin noch sehr ungeschliffen, aber ebenso motiviert. Ich bin allerdings nicht naiv. Lyrik ist, wie man so schön sagt, eine brotlose Kunst. Das war für mich immer nur ein Hobby. Jetzt ist es vielleicht ein bisschen mehr als das. Aber mein Hauptaugenmerk liegt noch immer auf Jura. Und um an den Anfang anzuknüpfen: Ich brauche Jura auch, um Kunst zu schaffen. Ich brauche beides. Deshalb kann ich nicht sagen, in zehn Jahren wird dies oder das sein, sondern einfach nur: Es macht Spaß.
Das Gespräch führte Sophie Müller