Am 4. März feierte Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ im Theater Heidelberg Premiere. Mit seiner Inszenierung des Klassikers schickt der Regisseur und Intendant des Hauses Holger Schultze die Zuschauer auf eine Reise der Gefühle und Leidenschaften, eine Reise, bei der die Vernunft schläft und die Triebe erwachen.
Dabei beginnt das Stück in einer Welt, in der man Haltung bewahrt und in der der Verstand regiert, nämlich am Hofe von Athen. In schicker Abendkleidung sinnieren Herzog Theseus und die Amazonenkönigin Hippolyta über ihre bevorstehende Hochzeit. Sie werden unterbrochen als eine Gruppe ebenfalls gut gekleideter Athener, angeführt von Egeus, auftritt. Dieser möchte seine Tochter Hermia mit Demetrius verheiraten. Hermia allerdings hält davon nichts. Sie möchte ihren geliebten Lysander zum Mann haben. Der Herzog gibt Egeus recht und stellt Hermia vor die Wahl: Entweder sie befolgt den Wunsch ihres Vaters, oder ihr droht der Tod.
Die Handlung wirkt bedrohlich, doch das Stück kommt nicht so recht in Gang. Die Schauspieler scheinen gehemmt und man hat Mühe ihnen ihre Rollen abzunehmen. Eine bemerkenswerte Ausnahme bietet Sheila Eckardt in der Rolle der Hermia. Mit ihrer kraftvollen Stimme überzeugt sie das Publikum von ihrer Ergriffenheit.
Um ihrem Schicksal zu entkommen, beschließen Hermia und Lysander, bei Nacht in den Wald zu fliehen. Allerdings erfährt Hermias Freundin Helena von dem Plan und erzählt diesen Demetrius. Seit langem ringt sie verzweifelt um dessen Liebe und erhofft sich wenigstens etwas Aufmerksamkeit.
Eine Gruppe Handwerker tritt auf. Sie sind damit beauftragt worden ein Theaterstück zur Hochzeit des Herzogs einzustudieren. Die Gruppe bringt zum ersten Mal so richtig Schwung ins Stück. Vor allem der Weber Zettel, herrlich grotesk und überzogen gespielt von Steffen Gangloff, sorgt für Lachen im Publikum. Aber auch die anderen Handwerker entwickeln ein dynamisches und unterhaltsames Spiel. Man beschließt, sich zur Probe im Wald zu treffen.
Die Hinterbühne öffnet sich und vor den Zuschauern tut sich bedrohlich die mystische Welt des Waldes auf. Fahles Licht und Schatten wandern über die vernebelte Bühne. Aus allen Richtungen ertönen schrille und wimmernde Geräusche. Und alles ist verhangen von roten Schlingen, die sich wie ein Spinnennetz durch den Raum winden. Das Bühnenbild ist dem Regisseur gelungen, keine Frage. Mit einfachen Mitteln schafft er es, den Eindruck einer surrealen Welt hervorzurufen. Als Zuschauer vergisst man schnell, dass man sich im Theater befindet. In der Dunkelheit des Saals fühlt man sich auf einmal als Teil des Spiels.
Im Nebel lassen sich der Elfenkönig Oberon und seine Frau Titania erkennen. In ihrer Aufmachung, die sich irgendwo zwischen Gothic- und Fetischabteilung bewegt, harmonieren die beiden wunderbar mit dem Bühnenbild.
Doch zwischen den beiden herrscht Streit. Mit keifenden Stimmen fahren sie sich gegenseitig an. Oberon, erschreckend fies gespielt von Marco Albrecht, ist die Sache leid und plant seine Frau für ihre Widerborstigkeit zu bestrafen. Er lässt sich vom treuen Diener Puck eine Zauberblume bringen. Wenige Tropfen von ihrem Saft reichen aus, dass sich ein Schlafender beim Aufwachen in das erste Geschöpf verliebt, das er erblickt. Während Oberon sich um Titania kümmert, soll Puck den durch den Wald irrenden Demetrius verzaubern. Oberon hat nämlich von dessen Geschichte erfahren und möchte den Menschen Abhilfe bringen. Demetrius soll sich in Helena verlieben.
Der unbedarfte Puck, gespielt von Steffen Scheumann, entpuppt sich schnell als eine Schlüsselrolle des Stücks. Immer wieder hat er seine Finger im Spiel und macht sein ganz eigenes Ding. Die Rolle überzeugt und avanciert im weiteren Verlauf zum Publikumsliebling. Scheumann weiß, die Vielseitigkeiten seiner Figur auszuspielen. Mal ist er der ergebene Diener seines Herren, dann der launenhafte Elf und wann anders wieder einfach ein niedliches Fabelwesen. Er bleibt unberechenbar. So ist es auch Puck, der die große Irrfahrt in dieser Nacht anstößt. Dieser verwechselt nämlich Demetrius mit Lysander. Als Oberon von dem Missgeschick erfährt, muss der Diener die Sache wieder geradebiegen. Das aber führt dazu, dass beide, Demetrius und Lysander, der verwirrten Helena nachsteigen.
Doch damit nicht genug. Bei seinem Streifzug durch den Wald entdeckt Puck die Gruppe von Handwerkern. Kurzerhand verwandelt er den Weber Zettel in einen Esel. Als dann die Elfenkönigin Titania ausgerechnet von Zettel aufgeweckt wird, ist das Chaos perfekt.
Der „Sommernachtstraum“ bietet ein rasantes Spiel voller Überraschungen und Wendungen. In sich ständig verändernden Konstellationen jagen die Figuren durch die Nacht und was eben noch Realität war, ist im nächsten Moment schon wieder vergangen und vergessen. Wie von der Leine gelassen steigen Lysander und Demetrius erst der einen und dann der anderen Dame nach. Das Stück lebt von dem ständigen Wirrwarr zwischen den Personen, ihren Verirrungen und Reibungen. Wer mit wem und wie lange ist hier die Frage. Insbesondere den Weber Zettel hat es hart getroffen, als die verliebte Titania ihn zu ihrem Gefolge mitnimmt. Dort muss er sich eine Party gefallen lassen, wie sie sich die größten Gruftis nicht erträumen könnten. Die Vernunft ist ausgeschaltet, die Triebe sind erwacht. Der Zuschauer taucht ein in einen Traum, in dem alles möglich scheint.
Trotz Startschwierigkeiten kann das Ensemble insgesamt überzeugen, wobei die Leistung sicher noch steigerungsfähig ist. Die schnellen Wechsel und Brüche in der Handlung gelingen, könnten aber hier und da noch pointierter gespielt werden.
Insgesamt bietet die Inszenierung einen kurzweiligen aber unterhaltsamen Abend. Die Witze gehen in typischer Shakespeare-Manier durchaus auch unter die Gürtellinie, ohne dabei aber abzustumpfen. Und trotz allem Spaß klingt am Ende eine nachdenkliche Note an. War alles nur ein Traum? Und wenn ja, würde das überhaupt einen Unterschied machen? Der Abend hat gezeigt, wie fließend die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit sein können.
Von Justin Reuling