Frankreich hat die erste von zwei Wahlrunden hinter sich gebracht, um seinen ungeliebten Präsidenten François Hollande abzulösen. Wir haben uns direkt nach der ersten Hochrechnung auf den Weg gemacht und im Herzen Dijons ein paar junge Stimmen abseits der Aufmerksamkeitshochburg Paris eingefangen.
Wer das nicht mitbekommen hat, muss die letzten Wochen in einer Höhle verbracht haben: Gestern Abend hat Frankreich die erste von zwei Wahlrunden hinter sich gebracht, um seinen ungeliebten Präsidenten François Hollande abzulösen. Neben vielen kleinen Kandidaten standen dabei die zwei Kandidaten der alteingesessenen Parteien, der erzkonservative François Fillon von den Républicains und Linksaußen Benoît Hamon der Parti Socialiste, zwei parteilosen Kandidaten gegenüber: Sowohl der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon (La France Insoumise) wie Zentrist Emmanuel Macron (En Marche) stützen sich auf ihre neu gegründeten „Bewegungen“ ohne traditionelle Parteibindung. Und mit der Rechtsextremen Marine Le Pen vom Front National war natürlich auch das allgegenwärtige Schreckgespenst dieser Wahl mit von der Partie.
Die Umfragen machten es dabei bis zuletzt spannend, kreisten doch Fillon, Le Pen, Macron und Mélenchon alle um die zwanzig Prozent. Da konnten wir vom ruprecht euch natürlich nicht hängen lassen: Frei nach dem Motto ‚leben wie Gott im Burgund‘ haben wir uns, bewehrt mit einem Gläschen Wein, aufgemacht, den jungen Kneipengängern auf den Zahn zu fühlen. In vino veritas!
Julien, 26, hat sich bei der Wahl enthalten:
Wie kam es zu deinem „vote blanc“?
Julien: Also ich habe alle Programme, die wir in den Briefkasten bekommen haben, genommen und mit dem Bleistift in der Hand gelesen. Dabei habe ich alles angestrichen, was ich nicht mochte oder zu vage fand, und markiert, was mir gefallen hat. Daraus habe ich mir eine Rangliste gemacht, in der aber schließlich keiner der Kandidaten wirklich dem entsprach, was ich für richtig halte. So habe ich mich dann darauf beschränkt, in den Wahlumschlag meine Liste zu packen.
Und du wolltest nicht für den Kandidaten stimmen, der deiner Position am nächsten steht?
Julien: Für mich war bei diesem Votum am wichtigsten, den Wahlmodus an sich in Frage zu stellen. Ich glaube nicht, dass es repräsentativ ist, eine einzige Person zu wählen.
Wie meinst du das? Sollte es deiner Meinung nach mehr als einen Präsidenten oder eine Präsidentin geben?
Julien: Nein, es braucht jemanden, der die Richtung angibt, und außerdem gibt es neben ihm oder ihr ja noch Premier, ein Kabinett, etc. Nicht repräsentativ finde ich, dass man sich nur für einen Kandidaten entscheiden kann, der einen später repräsentieren soll. Besser wäre eine abgestufte Wahl, bei man eine Rangfolge an Kandidaten angibt. Ich weiß nicht, ob das schlussendlich viel ändern würde, aber zumindest würde es dazu verpflichten, sich die Programme aller Kandidaten genau anzuschauen.
Also mehr eine Kritik des Systems und weniger der Kandidaten?
Julien: Genau.
Hast du dich bei deiner Entscheidung an deinem Freundeskreis orientiert?
Julien: Nein, überhaupt nicht. Das war ein Vorgang im stillen Kämmerlein, wenn auch unter der stillen Missbilligung meiner Mutter (lacht). Um ehrlich zu sein haben wir in meinem Freundeskreis ziemlich wenig debattiert, sowohl über die aktuelle Politik als auch über die einzelnen Kandidaten. Ich habe heute beispielsweise im Namen meiner Freundin für Macron abgestimmt, aber auch zwischen uns beiden gab gar es keine Diskussion.
Letzte Frage: Nach den ersten Hochrechnungen scheint es auf ein Duell zwischen Macron und Le Pen hinauszulaufen – wirst du dich hier auch enthalten?
Julien: Nein, auf keinen Fall. Sollten die beiden in die zweite Runde (der Präsidentschaftswahl) kommen, stimme ich auf jeden Fall für Macron.
Danke für das Gespräch!
Florence, 22, hat zwar schon den Großteil ihres Lebens in Frankreich verbracht, ist aber niederländische Staatsbürgerin und durfte deshalb gestern nicht selbst an der Wahl teilnehmen. Clemence, 23, hat für Macron gestimmt:
Clemence, warum hast du dich für Macron entschieden?
Clemence: Seine Vorschläge für die Wirtschaftspolitik haben mich überzeugt, genauso wie seine Sozialpolitik – auf jeden Fall mehr als die von François Fillon. Ich hatte mich schon seit längerem für Macron entschieden.
Mélenchon et Hamon waren für dich keine Möglichkeit?
Clemence: Nein, gar nicht. Die sind mir beide zu links.
Wie hast du dich für die Wahl informiert? Soziale Netzwerke, Zeitungen oder das eigene Informationsangebot der Kandidaten?
Clemence: Zeitungen, Fernsehen, Internet… ein bisschen von allem.
Hat die Wahl in eurem Freundeskreis eine große Rolle gespielt?
Florence: Ja, absolut. Wir studieren Jura, deshalb sind die Wahlen für uns sehr wichtig. Wir müssen schließlich später das Recht anwenden, wie es jetzt beschlossen wird!
Was sind denn für euch die wichtigsten Themen für die nächsten Jahre?
Florence: Vor allem wirtschaftliche Fragen, da stecken wir hier in Frankreich zurzeit in ziemlichen Problemen. Dabei dürfen wir die sozialen Aspekte zwar auch nicht vergessen, doch wenn du mich fragst, sind wir schon ein sehr sozial orientiertes Land – da haben wirtschaftliche Fragen erst einmal definitiv Vorrang.
Clemence: Ich denke, wir brauchen auf jeden Fall eine starke Führungspersönlichkeit. Zurzeit ist die französische Öffentlichkeit sehr gespalten und und es bräuchte jemanden, der uns wieder zusammenbringt. Und ich denke, da wäre Macron ein geeigneter Kandidat. Zur Immigrationsthematik sagt er beispielsweise nicht, man müsse schlicht die Grenzen schließen, den Zuzug begrenzen und damit wäre das Problem gelöst. Macron spricht sich stattdessen dafür aus, sich um Erziehungs- und Bildungsproblemen zu kümmern.
Florence: Eine wichtige Rolle spielt sicher auch, dass Macron keiner Partei angehört, deren Botschaften er verbreiten muss. Sicherlich würde er auch mit Partei im Hintergrund sagen können, was er will, allerdings finde ich die Idee einer unabhängigen Bewegung besser.
Hat in euren Diskussionen Europa, dem viele Kandidaten kritisch bis feindlich gegenüberstehen, eine wichtige Rolle gespielt?
Florence: Absolut. Den Euro oder sogar die Europäische Union verlassen, das geht für mich gar nicht!
Ich nehme an, du bleibst auch in der zweiten Runde bei deiner bisherigen Wahl, sollten sich die bisherigen Hochrechnungen bestätigen?
Florence: Na klar!
Danke für das Gespräch!
Adam, 20, hat für Benoît Hamon gestimmt:
Warum hast du dich heute für Hamon entschieden?
Adam: Seine Ideen und Weltanschauungen stehen weitgehend in Einklang mit meinen Vorstellungen.
Kannst du das präzisieren? Oder hast du deine Entscheidung aus dem Bauch heraus getroffen?
Adam: Ich habe tatsächlich mehr aus dem Gefühl heraus entschieden, dass die anderen Kandidaten wesentlich schlimmer sind. Eine Wahl aus Mangel an Alternativen.
Was sollte denn in den nächsten fünf Jahren deiner Meinung nach bevorzugt angegangen werden?
Adam: Zunächst einmal darf es mit Frankreich nicht noch schlimmer werden, als es eh schon ist. Und wir müssen aufhören uns mit Diskussionen herumzuschlagen, die nerven und und kein Stück weiterbringen.
Welche Diskussionen meinst du?
Adam: Um die Arbeitslosigkeit zum Beispiel. Ich studiere noch, aber viele meiner Freunde, die vielleicht ein bisschen zu früh begonnen haben zu arbeiten und Ausbildungsmöglichkeiten nicht genutzt haben, finden jetzt gerade wegen ihrer fehlenden Ausbildung keine Arbeit mehr. (Vor allem François Fillon hat sich während des Wahlkampfes immer wieder für ein härteres Vorgehen gegen Langzeitarbeitslose ausgesprochen, mit ähnlichen Maßnahmen wie im deutschen Hartz 4-Modell).
Wie hast du dich vor der Wahl informiert?
Adam: Vor allem über das Internet, aber nicht über soziale Netzwerke, deren Ergebnissen traue ich nicht. Die sind mir zu parteiisch und uneinsichtig. Ich habe mich vor allem über Onlinenachrichten und die Onlineportale der großen Zeitungen informiert.
Würdest du trotz Macrons tendenziell neoliberaler Agenda zur Wahl gehen, wenn’s in zwei Wochen zum Duell Macron gegen Le Pen kommen sollte?
Adam: Für ihn würde ich auf jeden Fall eher wählen als für die Rechtsextremisten, das ist klar (lacht). Wenn es um die Rolle als Präsident geht, hat Macron sicherlich Oberwasser gegenüber einer Marine Le Pen, die viel fordert um die Mengen aufzuheizen, aber nicht um wirklich Probleme zu lösen.
Danke für das Gespräch!
Morgane und Lucile, beide 19. Für sie war es ihre erste Wahl, wobei Morgane für Macron und Lucile für Mélenchon gestimmt hat:
Wie seid ihr zu euren Entscheidungen gekommen?
Lucile: Seine Ideen stehen in Einklang mit meiner Sicht der Dinge. Außerdem ist er äußerst motiviert und bringt trotz seines Alters frischen Wind in den französischen Politikbetrieb.
Morgane: Ich habe die Kurzprogramme aller Kandidaten gelesen, was mich allerdings schlussendlich mehr verwirrt als mir geholfen hat. So wirklich wusste ich deshalb nicht, wen ich wählen sollte. Als ich dann schließlich in der Wahlkabine stand, dachte ich mir spontan, er würde am ehesten seine Ideen durchsetzen.
Also eine Entscheidung auf die allerletzte Sekunde?
Morgane: Ja, absolut (lacht).
Lucile, hast du deine Entscheidung ähnlich spontan getroffen?
Lucile: Nicht wirklich. Ich habe mich schon davor sehr für Politik interessiert und da ich in letzter Zeit nicht sehr viel zu tun hatte, konnte ich mich vor der Wahl ausführlich informieren.
Was waren für euch wichtige Themen in diesem Wahlkampf?
Lucile: Einerseits muss man sich natürlich um die Wirtschaft kümmern, aber dabei darf die Ökologie nicht unter die Räder geraten. Mélenchon setzt sich für die Abschaltung der Atomkraftwerke in Frankreich ein, das finde ich richtig.
Denkst du, eine florierende Wirtschaft kann zusammen mit den Forderungen Mélenchons nach einem „intelligenten Protektionismus“ und den damit einhergehenden Schwierigkeiten mit der Euro-Zone funktionieren?
Lucile: Ich kenne mich da nicht besonders gut aus, dennoch finde ich, dass die Ideen prinzipiell gut sind. Sie müssen später dann natürlich in den Grenzen des Vernünftigen umgesetzt werden. Man darf nicht übertreiben und dem Extremismus verfallen. Dennoch müssen sich viele Dinge ändern und ich glaube, dass Mélenchon den Mut dazu hat, diese Veränderungen auch anzugehen.
Denkst du, Mélenchon würde nach seiner Wahl ruhiger werden?
Lucile: Wie er gesagt hat, er würde die sechste Republik gründen und ich denke, das wäre eine gute Sache. Dort könnte der Präsident leichter wieder abgelöst werden. Sein Ziel ist der Wechsel, wobei er nicht notwendigerweise auch fünf Jahre an der Macht bleiben will.
Mit welchen Mitteln habt ihr vor der Wahl informiert?
Morgane: Ich habe vor die großen Debatten im Fernsehen geschaut und danach meine Recherchen im Internet fortgesetzt.
Lucile: Bei mir waren es vor allem die Zeitungen, sowohl von links wie rechts, um mich anhand eines breiten Spektrums an Meinungen entscheiden, oder besser nicht entscheiden zu können.
Danke für das Gespräch!
Die Gespräche führte Jakob Bauer.
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