Auch Heidelberger gingen beim „March for Science“ auf die Straße und demonstrierten für unabhängige Forschung
Wer Wissenschaftler für eine Bande von kauzigen Eigenbrötlern hielt, die sich fernab vom Weltgeschehen in kühlen, neonbeleuchteten Laboren herumdrücken, der wurde spätestens jetzt eines Besseren belehrt: Am Samstag, dem 22. April 2017 fand in über 600 Städten weltweit der „March for Science“ statt. Dabei gingen nicht nur Wissenschaftler zu tausenden auf die Straßen, sondern jeder, der sich für eine freie Forschung stark machen wollte.
Auch in Heidelberg marschierten etwa 1800 Demonstranten durch die Altstadt. Bereits vor Beginn versammelte sich eine beträchtliche Menschenmenge auf dem Friedrich-Ebert-Platz. Musik sorgte auch bei regnerischem Wetter für gute Stimmung bei den Teilnehmern. Die Demonstranten hatten viel Kreativität in ihre Schilder gesteckt. „Alternative Fakten sind √-1“, also imaginär, war da zu lesen und auch Anspielungen auf den aktuellen US-Präsidenten, der gewissermaßen der Auslöser für diese Demonstration war, durften nicht fehlen: „Evidence Trumps Opinion“
Auch von Innen sieht sich die Wissenschaft in letzter Zeit bedroht
Kurz nach 15 Uhr begann der Marsch in Richtung Uniplatz. Am Ende des Marsches verkürzte wieder Musik die Wartezeit, „Science will rock you!“ sang die Band. Redner waren unter anderem Ministerin Theresia Bauer, Bernhard Eitel, Rektor der Universität Heidelberg, sowie Andreas Trumpp vom DKFZ, der in seiner Rede ausdrücklich auf die deutsche Aussprache seines Namens bestand. Dieses lautstarke Aufbegehren aus den sonst doch eher unauffälligen Forscherreihen ist also ganz offensichtlich auch eine Antwort auf die jüngsten Ereignisse im politischen Ausland: Präsident Trump etabliert Lügen, zynisch getarnt als „alternative Fakten“, um zu rechtfertigen, dass Klima- und Stammzellenforschung Gelder entzogen werden. Und auch in Deutschland sind populistische Strömungen, die statt auf Fakten auf Polarisierung bauen, aktiver denn je.
Doch die Wurzeln des „March for Science“ liegen noch tiefer. Nicht nur von Außen sieht sich die Wissenschaft in letzter Zeit bedroht, auch von Innen drängen Probleme: Fälschungsskandale, Berücksichtigung von Geldgebern, die Replikationskrise und widersprüchliche Forschungsbefunde in einer Unmenge von immer neuen Erkenntnissen verunsichern die Bürger und nagen am öffentlichen Vertrauen. Das legen auch Befunde der Initiative „Wissenschaft im Dialog“ nahe: Immerhin 38 Prozent der Deutschen meinen, man solle statt Forschungsergebnissen lieber dem eigenen Gefühl trauen.
Politik ohne Forschung gleicht einem Tappen im Dunkeln
Für viele ist Wissenschaft noch immer ein schwer greifbares Konstrukt. Um das zu ändern, muss sie im Alltag mehr Präsenz zeigen. Das sieht auch Psychologe Joachim Funke so. Neben seiner Forschung setzt er sich für eine korrekte und alltagsnahe Forschungspraxis ein. Er meint: „Vieles an Forschung ist selbst für Expertinnen und Experten schwer zu verstehen – wieviel unsicherer muss sich jemand fühlen, der all die Erkenntnisse gar nicht überschauen kann. Wir Wissenschaftler müssen neben unserem Fachchinesisch auch die Sprache der Bürger sprechen. Nur dann können wir zu einem informierten Entscheidungsprozess beitragen.“
Denn letztlich ist dies der Auftrag von Wissenschaft: Sie dient keinem Selbstzweck, sondern bildet die Grundlage für gesellschaftspolitische Entscheidungen. Politik ohne Forschung gleicht einem Tappen im Dunkeln. Nur durch gesichertes Wissen lässt sich unsere heute so dynamische, komplexe Welt begreifen und verbessern.
Deshalb muss die Wissenschaft mitreden. Das betonte sowohl Bernhard Eitel im Namen der Universität, als auch die Biologin Eva Haas, die den „March for Science“ in Heidelberg mitorganisiert hat: „Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse geleugnet, falsch dargestellt oder für politische Zwecke missbraucht werden, dann müssen Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler zusammen aufstehen und sich einmischen!“ Sie hält den „March for Science“ für eine gelungene Aktion: „Er hat ein positives Zeichen für die Rolle der Wissenschaft in unserer Gesellschaft gesetzt und zudem hinterfragt, wie der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in Zukunft aussehen soll.“ Der Startschuss für das langfristige Ziel, Forschung noch stärker in die gesellschaftliche Debatte einzubringen, ist damit gefallen. In Heidelberg, kündigt Haas an, geht es am 18. Mai weiter mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Das Bild des Wissenschaftlers in der Öffentlichkeit“ im DKFZ. Jeder, der sich für den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft interessiert, sei herzlich eingeladen.
Von Anais Kaluza und Nicolaus Niebylski