Die neue Methode CRISPR/Cas9 ermöglicht erstmals, Gensequenzen gezielt auszuschneiden. Kritiker befürchten, dass damit bald Menschen zum Design-Objekt werden könnten
Kaum eine wissenschaftliche Methode wird in letzter Zeit so kontrovers diskutiert wie CRISPR/Cas9. Die Fachzeitschriften, populärwissenschaftliche Magazine und die großen Medien berichten über das neue Werkzeug der Gentechnik und prophezeihen tiefgreifende Folgen für die Gesellschaft. Doch wie funktioniert CRISPR/Cas9 und wie realistisch sind Gefahren und Nutzen der neuen Technik?
„CRISPR/Cas 9 ist im Prinzip eine programmierbare Genschere“, erklärt Joachim Wittbrodt, Entwicklungsbiologe und Gründungsdirektor des Heidelberger Centre for Organismal Studies. Vereinfacht könne man das Genom als einen Text betrachten: „Wenn man in einem Word-Dokument ein 20 Buchstaben langes Wort sucht, nutzt man die Suchfunktion. Ganz ähnlich funktioniert die Methode. Wir haben jetzt eine molekulare Maschine, die eine bestimmte Stelle suchen kann und dann einen Schnitt macht.” An diese Stelle kann durch zelleigene Reparaturmechanismen vom Forscher injizierte DNA eingesetzt werden.
Für den Entwicklungsbiologen Wittbrodt hat das die Arbeit enorm erleichtert: „Man hatte Ideen, die man jetzt plötzlich alle testen kann.“ Das Revolutionäre an CRISPR/Cas9 ist seine Einfachheit. Frühere Methoden brauchten Zeit, waren teuer und verlangten viel Erfahrung vom Anwender. CRISPR/Cas9 kann von Schülern eingesetzt werden.
„Was wir gerade erleben, wird Geschichte machen“, meint Wolfgang Eckart, Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, „Wir erleben hier das Anfangsstadium einer wirkmächtigen Neuentwicklung.“ Denn die gezielte Veränderung von Gensequenzen macht es möglich, den Einfluss einzelner Gene auf den Organismus präzise zu analysieren und zum Bespiel Erbkrankheiten codierende Gene auszuschalten. Damit könnte es beispielsweise möglich werden, HIV zu bekämpfen oder Stechmücken genetisch so zu modifizieren, dass sie nicht mehr als Überträger von Malaria fungieren. Doch auch dauerhafte Veränderungen am menschlichen Erbgut sind möglich. Diese neuen Perspektiven nehmen Befürworter zum Anlass, den Nutzen in den Himmel zu loben, und Kritiker, vor einer dystopischen Zukunft zu warnen. „Wir befinden uns gerade in einer Blase der positiven und negativen Überbewertung“, sagt Eckart.
Die Gefahren und den Nutzen könne man jedoch im Moment schwer abschätzen. „Was wir sicher sagen können ist, dass Eingriffe in die Keimbahn zu Veränderungen führen, die nachhaltig und transgenerationell sind.“ Die Keimbahn, die Abfolge von Zellen, die, beginnend bei der befruchteten Eizelle, im Laufe der Individualentwicklung eines Lebewesens schließlich zur Bildung seiner Keimdrüsen und der darin gebildeten Keimzellen führt. In diesen Mechanismus kann man nun mit der neuen Methode gezielt eingreifen und Gene verändern, die dann weitervererbt werden.
Kritiker der neuen Technik befürchten nun, dass es möglich sein wird, Menschen gezielt im Labor zu designen. Das ist besonders problematisch, wenn man bedenkt, dass es beim Einsatz der Technik immer noch zu Nebeneffekten kommen kann. Denn allmächtig ist CRISPR/Cas9 nicht: „Als Laie stellt man sich vielleicht einfach vor: blaue Augen? Ich brauche ja nur das „Blaue-Augen-Gen“, erläutert der Entwiclungsbiologe Wittbrodt. Das gibt es aber nicht.“ Denn ein Merkmal kann von vielen Faktoren beeinflusst werden. Der derzeitige Kenntnisstand über das hochkomplexe Erbmaterial lässt eine Manipulation eines einzelnen Merkmals oft nicht zu.
Dennoch arbeiten Forschergruppen in China mit der Technik schon an menschlichen Embryonen. Eine Anwendung an menschlichen Genen ist also denkbar, führt im Zweifelsfall jedoch zu unerwünschten Ergebnissen. „Es wird eine ganze Reihe von Frankensteins geben und irgendwo passiert mal was Richtiges“, sagt Wittbrodt, „was wir im Moment in der Presse reflektiert sehen, ist eine Hoffnung.“
In Deutschland ist die Manipulation von menschlichem Erbgut durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Die neue Technik könnte die Diskussion über das Verbot neu entfachen. Laut Eckart werden wir diese Debatten in absehbarer Zeit im Bundestag erleben. „Denn der Druck der Wissenschaft, mit diesen Dingen dann auch zu forschen, wenn sie einmal da sind, ist sehr groß“, meint Eckart. „Ich denke, unser Embryonenschutzgesetz ist gut und wir sollten daran festhalten, aber ich halte das für eine Illusion, dass das durchhaltbar sein wird.“
Selbst wenn das genetische Design von Menschen ohne Nebeneffekt möglich und erlaubt wäre, stellt sich ein grundsätzliches Problem: Welches Ziel soll der Mensch bei seiner Selbstoptimierung verfolgen? Dazu Wittbrodt: „Das ist für mich das Hauptproblem: Das Verständnis dessen, was uns ausmacht, das fehlt komplett.“
Weltweit wird die Methode schon in zahlreichen Laboren zu Forschungszwecken eingesetzt. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis tatsächlich Menschen kreiert werden. Noch ist das Zukunftsmusik. Doch fragt man Wittbrodt, ist nicht die Frage ob, sondern wann das gemacht werde. Er ist sich sicher: „Ich würde es nicht tun wollen.“
Aber wollen wir wirklich eine Welt voller idealer Menschen schaffen? „Nein“, meint Eckart: „Was wäre das auch für eine langweilige Lebenswelt.“ Die menschliche Vielfalt sei Teil seines Menschenbildes. Für ihn spielt dabei auch das christliche Menschenbild eine Rolle: „Als Christ würde ich sagen, dass ich Teil des göttlichen Schöpfungsplans, dass Gott uns zwar nach seinem Ebenbild formt, aber nicht als Idealtypus Mensch“, führt Eckart aus, „er schafft ja nicht eine Vielzahl kleiner Götter, sondern Menschen.“
Neben dem genetischen Design von Menschen bietet CRISPR/Cas9 auch die Möglichkeit für neue therapeutische Verfahren, um Krankheiten zu heilen. So wird daran geforscht, Stechmückenarten so umzuprogrammieren, dass sie Malaria nicht mehr übertagen können. Auch Durchbrüche in der HIV-Therapie sind denkbar. „An dieser Stelle gebietet es der Imperativ der Barmherzigkeit, dass ich mich auch dieser Forschungsthematik widme“, sagt Eckart. „Im Sinne der Fürsorge für die Menschen versuchen wir diesen Forschungsaspekt so weit wie möglich zu entwickeln, um Menschen damit zu helfen.“ Wer das unterbräche, weil ihm jeder Eingriff an der DNA zuwider sei, würde unmenschlich handeln.
Von Esther Lehnardt und Nicolai Nieblyski