Religion ist an einer säkulären Uni eher ein Randphänomen. Dennoch gibt es Studierende, denen ihr Glaube wichtig ist. Für sie bedeutet das oft Diskriminierung, aber auch Halt im Alltag
[dropcap]K[/dropcap]irchgang, Beten oder Fasten hat im Tagesplan der meisten Studierenden keinen festen Platz. Kommilitoninnen und Kommilitonen, die das tun, werden von ihren Mitstudierenden oft etwas seltsam beäugt. Religiöse Studierende erleben Neugier, Befremden und manchmal Ablehnung. Rund ein Drittel aller christlichen Studierenden glaubt laut der Shell-Studie an Gott, bei den muslimischen Studierenden sind es über 80 Prozent.
Anna Alvi gehört dazu. Für ihren Master in Religionswissenschaft kam sie nach Heidelberg. „Religion lebe ich in dem Sinne frei aus, dass ich ein Kopftuch trage, regelmäßige bete und faste“, erklärt Anna. Regelmäßiges Beten strukturiert den Tag vieler Muslime und damit auch den Uni-Tag vieler muslimischer Studierender. Eine Möglichkeit, sich zwischen Vorlesungen und Seminaren zum Gebet zurückzuziehen, bietet der „Raum der Stille“ im Institut für Übersetzen und Dolmetschen – nicht nur für muslimische Studierende. Er wurde auf Initiative der Muslimischen Studierendengruppe (MSG) eingerichtet: „Wir sind sehr froh, dass die Universität einen Raum der Stille für alle Studierenden anbietet“, meint Aslihan Akyüz von der MSG. Genutzt wird er trotzdem hauptsächlich von muslimischen Studierenden.
Viele gläubige Christen nutzen den Frühgottesdienst der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) um 7 Uhr am Mittwochmorgen, um ihren Uni-Tag zu beginnen. „Für mich ist es eine schöne Möglichkeit zur Ruhe zu kommen, um konzentriert in die Vorlesung zu gehen“, beschreibt eine Gottesdienstbesucherin. Anschließend gibt es Frühstück in der ESG.
Für gläubige jüdische Studierende stellt vor allem die Einhaltung der Speisevorschriften eine Herausforderung im Unialltag dar. Denn keine der Mensen des Studierendenwerks bietet koscheres Essen an. Wer sich an die Speisevorschriften hält, hat unter der Woche zumindest über die Mittagszeit die Möglichkeit, in der kleinen Mensa der Hochschule für Jüdische Studien zu essen.
Neben den Herausforderungen, die sich durch das Verbinden der religiösen Regeln mit dem Unileben ergeben, haben viele gläubige Studierende auch mit Vorurteilen zu kämpfen. „Wenn ich offen meine Religion zeige, indem ich einen Davidsstern um den Hals trage, dann erlebe ich Anfeindungen“, meint Mascha Schwarzmann. Sie ist Jüdin und studiert Kunstgeschichte an der Uni Heidelberg. „Das sind die Dinge, die mich beunruhigen. Ich hatte einen Mitbewohner in einem Studentenwohnheim, der sich mir gegenüber antisemitisch geäußert hat. Ich war sprachlos, weil sich seine Anfeindungen aus alten Vorurteilen speisen.“ Viele Kommilitonen seien aber auch sehr freundlich und zeigen Verständnis. Die Muslima Anna hat bisher noch keine Anfeindungen erlebt, wünscht sich jedoch: „Wir sollten unsere Augen und Ohren offen halten und unsere Stimme gegen jede Art von Diskriminierung erheben.“
Doch neben den Herausforderungen und Problemen, die offen gelebte Religiosität mit sich bringt, hat sie auch positive Effekte aufs Studium. „In der Kunstgeschichte mag ich besonders Renaissance-Gemälde. Da habe ich durch meine Kenntnis des Alten Testaments schon einen kleinen Vorteil“, erzählt Mascha. Ihr Glaube hat Anna bei der Wahl ihres Studienfachs bestärkt. „Ich studiere Religionswissenschaft und mich interessiert nicht nur die Religionsgeschichte verschiedener Kulturen, sondern auch aktuelle Entwicklungen im Bereich der Religionen.“
Auch persönlich gibt den beiden die Religion viel. „Sie schenkt mir Zufriedenheit, Kraft und ist für mich eine Art Wegweiser, der mir Hinweise für ein für mich und meine Mitmenschen zufriedenes Leben gibt“, erklärt Anna. Eine solche Zufriedenheit beeinflusst den Umgang auch mit schwierigen oder stressigen Phasen im Studium. Für Mascha ist die Gemeinschaft in ihrer Synagoge besonders unterstützend. „Ich gehe mehr oder weniger regelmäßig in die Synagoge, esse aber nicht koscher“, erläutert sie, „Für mich ist das Entscheidende die Gemeinschaft, die ich in der Synagoge erlebe. Der Glaube an Gott ist dabei nicht so wichtig.“
Glaube und Religion sind ein essentieller Teil im Leben von manchen Studierenden. Das bringt manche Besonderheiten und Herausforderungen mit sich. Letztendlich sind religiöse Studierende jedoch auch einfach nur Kommilitoninnen und Kommilitonen, mit denen man lernt, Kaffee trinkt und sich über den anstrengenden Prof aufregt.
Von Esther Lehnardt
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Angebote für religiöse Studierende
Gebetsräume: Im Neuenheimer Feld – Islamischer Gebetsraum in der Kopfklinik INF 400; Altstadt – Raum der Stille der Universität Plöck 57a
Koschere Mensa: Hochschule für Jüdische Studien, Geöffnet Mo. bis Fr. 12.45 – 14 Uhr
Hochschulgruppen: Muslimische Studierendengruppe (MSG) Heidelberg – info@msg-heidelberg.de; Evangelische Studierendengemeinde (ESG) Heidelberg – kontakt@esg-heidelberg.de: Katholisches Universitätszentrum Heidelberg – info@kuz-heidelberg.de; Bund jüdischer Studenten Baden – info@bjsb.de
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