Der Heidelberger Gemeinderat diskutiert die Einführung eines Cannabis Social Club. Damit ist die Debatte um das Verbot der Droge neu entbrannt. Ist es sinnvoll, Cannabis zu legalisieren?
Die kurze Antwort: Ich finde eher nein. Warum? Weil wir bereits genügend substanzbezogene Probleme haben, unter denen Einzelne und Familien leiden und deren Folgen das Sozialsystem belasten. Und zwar vor allem mit den Substanzen, die bereits beziehungsweise noch legal, zu wenig restriktiv reguliert, sind. Von den 18-64-Jährigen in Deutschland trinken gut 70 Prozent gelegentlich Alkohol und wir haben ungefähr 3 Prozent oder 1,5 Millionen missbräuchliche und 3,4 Prozent oder 1,7 Millionen abhängige Konsumenten. Deshalb erscheint es mir auch verfehlt, dass die Frage der Cannabislegalisierung den (ver)öffentlich(t)en Diskurs zur Suchtpolitik gegenwärtig derart dominiert. Aus meiner Sicht wäre es der Sachlage angemessener, zunächst oder zumindest zeitgleich einen gesellschaftlichen Diskurs über restriktivere Regulierungen vor allem bei Alkohol zu führen, bevor wir darüber nachdenken, ob wir riskieren, über die weniger restriktive Regulierung von Cannabis hier längerfristig eine ähnliche Situation wie beim Alkohol entstehen zu lassen. Das scheint allerdings wenig populär.
These 1: Cannabis birgt weniger Gefahren als Alkohol.
Eher ja. In der Realität gibt es ein breites Spektrum möglicher Nachteile und Schädigungen durch Substanzkonsum, unmittelbare und langfristige, körperliche, psychische und soziale, für Konsumenten und für Dritte, die sich durch das Zusammenspiel pharmakologischer Eigenschaften mit konkreten Menschen und bestimmten Kontexten ergeben. In den meisten Hinsichten muss nach dem jetzigen Forschungsstand Alkohol als schädlicher beziehungsweise gefährlicher eingeschätzt werden als Cannabis. Gleichzeitig ist es so, dass früher Konsum erhebliche Entwicklungsrisiken birgt, das Risiko für psychische Erkrankungen wie Psychosen und Angststörungen erhöht, und dass wir gegenwärtig etwa 0,5 Prozent oder 25 0000 missbräuchliche und noch einmal etwa ebenso viele abhängige Cannabiskonsumenten unter den 18-64-Jährigen in Deutschland (2013) haben. Diese Zahlen würden nach meiner Überzeugung mit weniger restriktiverer Regulierung längerfristig steigen.
These 2: Cannabis ist eine Einstiegsdroge.
Eher nicht. Wenn (junge) Menschen bei uns Substanzerfahrungen machen, dann typischerweise zuerst mit Tabak und Alkohol, insgesamt deutlich häufiger durch letzteren, und mit diesem typischerweise ihre (ersten) Rauscherfahrungen. Das liegt maßgeblich daran, dass die meisten von uns relativ gesund und vernünftig sind und sich im Zweifelsfall zuerst an dem versuchen, was als weniger riskant erscheint, zum Beispiel auch deshalb, weil viele andere es tun und es „normal“ ist. Wenn man den Begriff Einstiegsdroge(n) ernst nimmt, dann kommt er Alkohol und Tabak zu. Für den Konsum anderer, „härterer“ illegaler Drogen sind Cannabiserfahrungen typischerweise eine Voraussetzung und ein Schritt innerer und äußerer Annäherung, den kaum ein Abhängiger „harter“ Drogen ausgelassen hat. Andererseits blieb bislang für die meisten ihre Cannabiserfahrung eine kürzere oder längere Experimentierphase; sie zieht nicht notwendig und überwiegend auch nicht faktisch den Konsum anderer, „härterer“ Drogen nach sich.
These 3: Eine Legalisierung würde Gerichte und Polizei entlasten.
Selbstverständlich gäbe es weniger eingeleitete Strafverfahren wegen des Besitzes kleiner Mengen von Cannabis, wenn dieser keinen Gesetzesverstoß mehr darstellen würde und entsprechend geringere unmittelbare Kosten. Allerdings sind Schätzungen von Kosten für Strafverfolgung und Einsparungsmöglichkeiten spezifisch für Cannabisdelikte höchst spekulativ. Und sie blenden üblicherweise die Kosten aus, die mit jedem anderen verantwortbarem Modell der Regulierung verbunden wären, etwa zur Regulierung der Herstellung und des Vertriebs, zur Einhaltung der dann erlaubten Höchstmengen, Sicherstellung von Qualität und Jugendschutz, Besteuerung, zulässigen Orten des Konsums, zulässigen Blut-THC-Mengen am Arbeitsplatz und im Straßenverkehr, deren Kontrolle und Sanktionierung Kosten mit sich bringen. Schon gar nicht berücksichtigen sie die weiteren gesellschaftlichen Kosten (für Suchtbehandlung und langfristige Transferleistungen). Insofern ist zu bezweifeln, ob eine Legalisierung von Cannabis eine positive wirtschaftliche Gesamtbilanz hätte.
Von Ralf Krämer