Teurer Single Malt oder billige Fälschung – eine künstliche Zunge Heidelberger Chemiker kann Whisky-Sorten unterscheiden
Eine „künstliche Zunge“ klingt im ersten Moment nicht nach wissenschaftlichem Durchbruch, sondern wie ein ekliger, bedingt nützlicher Gummilappen. Die Vorstellung, dass sich dieser Lappen dazu eignen soll, Whiskys zu unterscheiden, scheint weit hergeholt.
In Wirklichkeit ist die künstliche Zunge zwar in ihrer Funktionsweise der organisch gewachsenen nachempfunden, hat aber optisch wenig mit ihr zu tun. In der menschlichen Zunge findet man sechs verschiedene Sensorelemente – süß, sauer, bitter, salzig, umami und scharf – welche jeweils etwa fünf Intensitätsstufen ausmachen können. So kann man bis zu 15 000 Geschmacksprofile unterscheiden – die von Uwe Bunz, Direktor des Instituts für organische Chemie in Heidelberg, und seinem Team entwickelte „Zunge“ kann jedoch pro Sensorelement bis zu 200 verschiedene Stufen unterscheiden.
Jeder Whisky hat sein einzigartiges Muster
Die Sensorfeldplatte ähnelt sechs kleinen Nagellackfläschchen, die mit unterschiedlichen Polymeren gefüllt sind und durch elektrostatische Wechselwirkungen mit unterschiedlicher Floureszenzintensität auf die zugesetzten Whiskyproben reagieren. „Kombinieren wir dann die spezifischen Werte für jedes Zungenelement, können wir ein Muster der Probe erstellen“, erklärt Bunz. „Dieses Muster ist einzigartig für jeden untersuchten Whisky.“ Whisky ist jedoch nicht das einzige Getränk, das von der Zunge verkostet wurde: Bereits im letzten Jahr wurde sie mit Weißwein versorgt, der jetzt jedoch aus kosmopolitischen Gründen dem Whisky weichen musste. „Whisky wird auf der ganzen Welt getrunken“, so Bunz. „Er stachelt die Fantasie der Menschen vielleicht mehr an als Weißwein.“ Dazu kommt auch ein wissenschaftlicher Grund: Auch teure Whiskys sind Massenware, also ein Konsumgut, das immer wieder das Gleiche ist. Perfekt also um zu testen, ob die Zunge selbst ähnliche Analyten unterscheiden kann.
Eine mögliche Anwendung in der Zukunft wäre, gefälschte und abgelaufene Medikamente von echten zu unterscheiden. Einzige Hürde: Technologien wie diese brauchen industrieinterne Unterstützung. Ob diese jedoch für Medikamententests aus der Pharmaindustrie oder für Whiskeytests aus der Whiskeyindustrie kommt, ist für Bunz zweitrangig: „Ich bin in der Hinsicht sehr opportunistisch und würde dort forschen, wo Interesse besteht.“
Für die künstliche Zunge aus Heidelberg würde sprechen, dass sie im Vergleich zu der bisher verwendeten Massenspektrometrie schnell und günstig ist. Für eine Analyse mit Massenspektrometrie braucht man etwa sechs Stunden, um ein Whiskyprofil zu erstellen. Darüber hinaus kosten Massenspektrometer eine Million Euro. Die Sensorplatte hingegen ist mit einem Budget von nur wenigen tausend Euro sowie den richtigen Polymeren, auch in der WG-Küche zu stemmen: Innerhalb von 15 Minuten, während man die Pizza für die WG-Party in den Ofen schiebt, auf der man eventuelle Reste des Experiments verwertet, kann man bis zu fünf Whiskeys untersuchen. Da sich die Profile von ähnlichen Whiskys gleichen, kann man die Whiskys durch eine Mustererkennungsanalyse in verschiedene Gruppen gemäß Alter, Herkunft und Art einordnen. Wie fälschungssicher die Methode ist, also ob Substanzen mit ähnlichem Fluoreszenzverhalten die Sensorplatte täuschen könnten, bleibt ohne empirische Untersuchungen mit gefälschten Whiskys unsicher. Doch der Empirie sind finanzielle Grenzen gesetzt: „Die Whiskys konnte ich natürlich nicht mit Forschungsgeldern bestellen, sonst wäre mir die Rechnungsabteilung mir an den Kragen gegangen“, so Bunz. Ob ein Whisky nun aber nach Torf oder Regen an einem Sommertag schmeckt, kann die Zunge nicht feststellen: Wer das wissen will, muss seine eigene benutzen.
Von Viola Heeger