Die Vorbereitung auf das juristische Staatsexamen ist für viele Studierende eine hohe Belastung. Scheitern heißt, völlig umsonst studiert zu haben
[dropcap]A[/dropcap]lle Jurastudierenden bekommen es früher oder später einmal mit ihr zutun: Der Angst vor dem Examen. Anders als in den Bachelor- und Master-Studiengängen hängt die Zukunft von Juristen nämlich von sechs Examensklausuren ab. Diese werden innerhalb von zwei Wochen geschrieben. Besteht man sie nicht, waren viereinhalb Jahre Studium, eine nervenaufreibende Examensvorbereitung und jede Menge finanzieller Aufwand umsonst. Kein Wunder, dass eine ganze Branche von der Angst vor dem Durchfallen leben kann. Im Jahr der Examensvorbereitung zahlen sehr viele Studierende ordentliche Summen an private Repetitorien, um sich hinreichend auf das Examen vorzubereiten. Muss das Staatsexamen also abgeschafft werden?
Die Vorbereitung kann extrem teuer werden: Repetitorien, Gesetzestexte, Lehrbücher, all das kostet. 150-200 Euro pro Monat geben Jurastudierende in den letzten ein bis zwei Jahren ihres Studiums beispielsweise für private Repetitorien aus, in denen ihnen der Stoff der letzten drei Jahre noch einmal erklärt wird. Auch wenn immer mehr Studierende das kostenlose Angebot zur Wiederholung des Stoffes der juristischen Fakultät in Heidelberg nutzen, bevorzugt die Mehrheit dennoch kommerzielle Repetitorien. Hinzu kommen die Kosten in Höhe von ungefähr 800 Euro für die gängigsten Gesetzessammlungen Schönfelder und Sartorius. Rechnet man die Kosten für den Semesterbeitrag, Lernmaterialien, die Examensvorbereitung und monatliche Lebenskosten zusammen ergibt dies ungefähr 60 000 Euro für das ganze Studium.
Zur finanziellen Last kommt der erhebliche psychische Druck durch die eng getakteten Klausuren. Kein Wunder also, dass die Examensvorbereitungsphase zu einer mentalen Belastungsprobe geprägt von Stress und Versagensängsten wird. Besonders typisch für Jura-Studierende seien laut Frank Hoffmann, leitendem Psychologen der Psychosozialen Beratungsstelle für Studierende, Erschöpfungszustände durch das hohe Lernpensum über eine lange Zeit. „Druck entsteht manchmal nicht nur durch die Angst vor dem Examen selbst, sondern auch durch die Angst, die Schwelle zum Prädikatsexamen nicht überschreiten zu können“, erklärt er.
Das Examen wird zu einer mentalen Belastungsprobe
[dropcap]M[/dropcap]uss das Studium also auf das Bachelor-Master-System umgestellt werden? Dies wäre nicht so einfach, denn die deutsche Juristenausbildung zielt darauf ab, Studierende zu Einheitsjuristen auszubilden und zum Richteramt zu befähigen. Richter, Anwälte und Staatsanwälte haben die gleiche Ausbildung durchlaufen, sie können sich auf Augenhöhe begegnen und sollten sich nach den beiden Examen in allen Rechtsgebieten auskennen. Ein Bachelor würde hingegen auf eine Spezialisierung bereits im Studium hinauslaufen und würde an der Idee des Einheitsjuristen vorbeigehen. Da das Studium in Deutschland mit dem Staatsexamen abgeschlossen wird, muss die Qualität der Juristenausbildung nicht noch einmal vor dem Berufseinstieg geprüft werden. Es besteht nicht die Erfordernis einer speziellen Justizeingangsprüfung oder einer Anwaltskammerprüfung ,wie es beispielsweise in den USA oder Großbritannien, der Fall ist. „Wer dies ändern möchte, gibt nicht nur das Examen auf, sondern 150 Jahre deutsche Juristerei“, erläutert Jan Seidel, Mitarbeiter am Lehrstuhl für öffentliches Recht in Heidelberg.
Aus diesen Gründen halten auch die Professoren strikt am Staatsexamen fest. Thomas Lobinger, Dekan der juristischen Fakultät in Heidelberg, ist der Ansicht, das Staatsexamen müsse bleiben: „Natürlich ist das Staatsexamen anspruchsvoll, weil es nur diese eine große Prüfung am Schluss gibt. Weg vom Staatsexamen zu gehen, würde aber gleichzeitig eine Senkung der Qualität bedeuten“, erläutert er, „die Ansprüche sollten aber auf keinen Fall gesenkt werden.“
[dropcap]D[/dropcap]as völlige Abschaffen des Staatsexamens fordern auch die wenigsten Studierenden. Der Fachschaftsrat der juristischen Fakultät Heidelberg möchte stattdessen, dass allen Studierenden, welche die für das Examen erforderlichen Studienleistungen erbracht und nur noch die Examensvorbereitung vor sich haben, als Übergang ein in das Studium integrierter Bachelor-Abschluss gegeben wird. Wichtig ist dies für die Studierenden vor allem, um die Angst vor dem Examen zu mildern. Durch einen Bachelor hätten sie die Möglichkeit, trotzdem in das Berufsleben einzusteigen oder aber einen Master in einem anderen Fach zu absolvieren, wenn sie durch das Examen fallen sollten.
Jura auf Bachelor zu studieren ist schon jetzt, meist kostenpflichtig, an privaten Hochschulen möglich. Diese Studiengänge sind in der Regel auf Wirtschaftsrecht spezialisiert und ermöglichen es ihren Absolventen nicht, Berufe wie Anwalt, Staatsanwalt oder Richter zu ergreifen. Stattdessen können sie in Rechtsabteilungen von Unternehmen arbeiten. Dort sind sie sehr gefragt, weil sie für die Unternehmen günstigere Arbeitskräfte sind als Volljuristen. Denn im Gegensatz zu ihnen können Bachelor-Absolventen nicht einfach als Anwälte weiterarbeiten, wenn ihre Bezahlung nicht stimmt.
Seidel sieht dennoch viele Vorteile in der Einführung eines in das Studium integrierten Bachelors. „Würden die Leistungen während des Studiums in eine Bachelornote zählen, könnte dies den Studierenden einen psychologischen Anreiz geben, sich bereits während des Studiums um gute Noten zu bemühen und sich so schon früher auf das Examen vorzubereiten“, erläutert er. Weil die Klausurnoten während des Studiums nicht in die Examensnote zählen, gäben sich Studierende tendenziell weniger Mühe bei der Vorbereitung auf diese. Die Einführung eines in das Studium integrierten Übergangsbachelors wäre durch eine Universitätssatzung möglich und würde nicht gegen die staatlichen Vorgaben zur Juristenausbildung verstoßen.
Aber auch dieser Vorschlag stößt seitens der Professoren auf Widerstand. Hauptkritikpunkt ist hierbei, dass dies die Tore für Bologna öffnen würde. Kritisiert wird aber auch, dass ein Bachelor ein berufsqualifizierender Abschluss sei, ein Jura-Bachelor aber lediglich ein „Trostpreis“ und nicht hinreichend qualifizierend zur Ausübung eines Berufes. Das jetzige System und das Staatsexamen hingegen hätten sich bewährt. „Unser System ist zwar hart, allerdings sind deutsche Juristen, insbesondere im internationalen Vergleich, überdurchschnittlich gut“, erläutert Thomas Lobinger, „Das Lernverhalten von Studierenden, die sich auf das Staatsexamen vorbereitet haben, unterscheidet sich stark von Bachelor-Juristen, es ist deutlich methodenorientierter.“
Mit einer Einführung des Bachelors ist an der Traditionsuniversität Heidelberg in absehbarer Zeit also nicht zu rechnen. Viele andere Fakultäten in Deutschland wie beispielsweise die Universität Potsdam haben einen solchen allerdings schon eingeführt.
„Das jetzige System hat sich bereits so fest etabliert, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass es sich ändert“, erklärt die Sprecherin des Fachschaftsrats Jura, Inken Huschke.„Außerdem ist es aufgrund der speziellen Struktur des Studiums an unserer Universität schwerer, einen Bachelor-Abschluss einzuführen als an anderen Fakultäten in Deutschland.“ Dies liegt daran, dass an der Universität Heidelberg im Vergleich zu vielen anderen Fakultäten weniger Klausuren geschrieben werden, die in ECTS- Punkte umgerechnet werden könnten.
Ein Übergangsbachelor könnte die Angst mildern
[dropcap]E[/dropcap]inzig im Bereich des Schwerpunktes sind Reformen in Aussicht. Diese würden das Staatsexamen jedoch noch mehr gewichten als bisher. Der Jura-Abschluss setzt sich zu 70 Prozent aus der Note des Examens und zu 30 Prozent aus dem universitären Schwerpunktbereich zusammen. Im universitären Teil wählen die Studierenden ein spezielles Rechtsgebiet, mit welchem sie sich außerhalb des Pflichtstoffes außeinandersetzen. Auffällig ist hierbei, dass die Noten des universitären Teils deutlich besser ausfallen als die der staatlichen Examensklausuren. Die Noten schwanken auch je nach dem gewählten Schwerpunkt und der Universität. Deshalb rechnen Arbeitgeber den universitären Teil regelmäßig aus der Note heraus und bewerten ihre Bewerber nur nach der staatlichen Prüfung. Um auf diese Uneinheitlichkeit zu reagieren, hat im November 2016 die Justizministerkonferenz einen Beschluss zur Reform des Jurastudiums abgesegnet. Demnach soll der universitäre Teil nur noch 20 Prozent der Note des ganzen Abschlusses ausmachen.
Ein Umstand, den Studierende stark kritisieren, denn sie finden den Schwerpunktbereich sehr wichtig. „Nur im Schwerpunktbereich kann man sich unabhängig vom Pflichtstoff freiwillig mit Themen beschäftigen, die einen interessieren“, findet Studentin Indra Blanke. Der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften spricht sich deshalb ebenfalls gegen eine Reduktion des Schwerpunktbereichs aus. Auch Lobinger findet den Schwerpunktbereich erhaltungswürdig. Die fehlende Vergleichbarkeit der Noten sieht aber auch er als ein großes Problem an. Statt den Schwerpunktbereich und das Examen zusammenzuzählen, müsse man seiner Ansicht nach zwei Einzelnoten für das Examen und den Schwerpunktbereich vergeben. Wann die Reformen im Schwerpunktbereich umgesetzt werden, ist noch unklar. Mit einer Änderung der Struktur des Staatsexamens und somit einer Entlastung der Studierenden ist aber zunächst nicht zu rechnen. Denn bei der Diskussion um die Reform des Staatsexamens stehen sich zwei Fronten unversöhnlich gegenüber. Während die einen eine komplette Umstellung auf das Bachelor-Master-System fordern, möchten andere sogar zu dem Studienmodell der Neunzigerjahre zurückkehren. Die erste Möglichkeit ignoriert die deutsche Rechtstradition, letztere allerdings die Bedürfnisse der Studierenden.
Von Elif-Sema DabazoĞlu