Aufkleber verbreiten schon lange antisemitische oder rassistische Parolen. Die Friedrich-Ebert-Gedenkstätte zeigt Beispiele vom Kaiserreich bis heute
[dropcap]A[/dropcap]uf Laternen, Straßenschildern oder Wänden prägen sie den öffentlichen Raum: Aufkleber. Auf den kleinformatigen Klebezetteln werden schon seit dem 19. Jahrhundert politische Ansichten popularisiert. Dabei transportieren sie Feindbilder, rufen zu Gewalt auf oder verbreiten Vorurteile. Die Friedrich-Ebert-Gedenkstätte widmet sich in ihrer Ausstellung „Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute“ historischen und aktuellen Beispielen von propagiertem Hass gegen Minderheiten. Dabei sei das Medium Aufkleber in Zusammenhang mit den bekannten antijüdischen Ressentiments nichts Neues, erklärt Isabel Enzenbach vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. „Niemand weiß, dass antisemitische Sticker so alt sind. Schon im Kaiserreich haben Aufkleber klassische Parolen und Bilder getragen“, erzählt sie. Von der Jahrhundertwende über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus zeigen sie die Entwicklung von Feindbildern – und ihre Fortführung bis in die Gegenwart.
„Kauft nichts bei Juden!“ Diesen antisemitischen Sticker findet ein Mitarbeiter des Märkischen Museums 1893 in einer Berliner S-Bahn. Zu der Zeit beginnt die massenhafte Verbreitung der kleinen Klebezettel. Die Parolen bestimmen nicht nur politische Programmatiken der Parteien, sondern sind auch in der Werbung oder auf Sammelbildern präsent. So wirbt in den 1890er-Jahren das Frankfurter Hotel „Kölner Hof“ mit Postkarten und Stickern dafür, judenfrei zu sein. Kleine Bilder für die um 1900 beliebten Sammelalben zeigen auch koloniale Motive. Die rassistischen Stereotype zur Zeit des Kolonialismus werden durch die Zuweisung körperlicher Merkmale markiert. Bunte Werbebilder verschleiern mit dem Reiz des Exotischen auf perfide Weise den innewohnenden Rassismus.
Neben politischen Gruppen oder ökonomischen Institutionen kann auch der Einzelne im privaten Umfeld seine Zugehörigkeit zu einem spezifischen politischen oder kulturellen Milieu signalisieren. Mittel dafür sind etwa antisemitische Briefverschlussmarken. Mit prägnanten Sätze auf Briefen, wie „Die soziale Frage ist meist Judenfrage“ oder „Der Jude ist nicht ein Teutscher, sondern ein Täuscher“, werden antisemitische Einstellungen in der privaten Sphäre vertreten.
Während die Mechanismen und Parolen die gleichen bleiben, verschiebt sich das Feindbild: Auch wenn Antisemitismus nach dem Zweiten Weltkrieg in der rechtsextremen Szene immer noch vorherrscht – besonders im Umgang mit dem Holocaust – nimmt die Fremdenfeindlichkeit im Zuge von Migrationsprozessen zu.
Trotz der vielen historischen Beispiele weist die Ausstellung immer wieder Analogien und Muster auf, die in den vergangenen hundert Jahren wie heute existieren. Ein Verweis auf die allgegenwärtigen stereotypen Denkmuster zeigen nicht nur die historischen Sammelalben. Neben Alben von 1928 reihen sich Stickerbücher, die man 2011 in Supermärkten erhalten hat. Die Seiten zeigen die Bundesländer Deutschlands mit ihren regionalen Besonderheiten ein Motiv ist der „Deutsche Schäferhund“. Klingt harmlos. Aber auch hier werden Klischees der deutschen Geschichte und Kultur auf undifferenzierte Weise reproduziert. Wenn ein derart banales Medium nationale Klischees auflistet, werden sie vom Rezipienten mit großer Wahrscheinlichkeit unhinterfragt und unbewusst übernommen.
Viel deutlicher treten stereotype, rassistische Denkmuster in der Werbung rechtsextremer Parteien auf. Die Ausstellung zeigt Sticker der NSDAP aus den 1930er-Jahren neben denen der NPD. Die Ähnlichkeiten springen ins Auge: Diese Sticker propagieren den Typ des blauäugigen, blonden Deutschen, die Anklage von „Rassenvermischung“ zieht sich durch das Jahrhundert und ist bis heute zentrales Element rechtsextremer Ideologien.
Zum Nachdenken ruft auch die Übernahme rassistischer Darstellungsweisen von Organisationen auf, die sich für eine gerechtere Weltordnung einsetzen. Eindrücklich ist hier ein Sticker von Brot für die Welt, der Familien dreier Kontinente mit stereotypen körperlichen Merkmalen abbildet.
„Es geht nicht nur um bekannte extremistische Feindbilder. Die Ausstellung soll zeigen, dass die rassistischen Denkmuster tief sitzen und weit verbreitet sind“, sagt Enzenbach. Rassistische Bilder herrschen vor, ohne vom Rezipienten als rassistisch identifiziert zu werden.
Die Hassparolen bleiben nicht ohne Gegenwehr. So rief der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ im Kaiserreich auf: „Wehrt euch!“ Mit Stickern, die die Leistungen berühmter Juden hervorheben, zeichnete der „Weltverband gegen Rassenhass und Menschennot“ 1933 einen Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Judenbild.
Auch heutzutage gibt es Widerstand gegen die aggressiven Parolen. Irmela Mensah-Schramm, die einen großen Bestand an Stickern für die Ausstellung zur Verfügung stellte, dokumentiert und entfernt seit 1986 rassistische oder antisemitische Aufkleber sowie Graffiti in ganz Deutschland – und nimmt sogar juristische Auseinandersetzungen in Kauf. Ein weiteres Beispiel für Toleranz und Offenheit ist der Schriftzug „Refugees Welcome“. Eine Antifa-Gruppe übernimmt das Motiv der fliehenden Menschen von einem Warnschild. Mit dem hinzugefügten Slogan verbreitet sich das Logo weltweit und wird zu einem Symbol der Willkommenskultur.
Die Ausstellung mahnt zu einem sensiblen Umgang mit Antisemitismus, Rassismus und Stereotypen. Sie beleuchtet lediglich das Medium der Sticker. Man muss nur einmal durch die Stadt gehen, um die Inhalte der Ausstellung weiterzudenken. Wahlplakate, T-Shirt-Slogans oder Graffitis – wie etwa „Kein Mensch ist illegal“ – transportieren im städtischen Raum ebenso politische Statements. Ein sensibler und kritischer Umgang im Alltag kann somit nicht schaden.
Von Lea Dortschy