Bei der Karaokenacht im O’Reilly’s in Neuenheim kann man sich das Herz aus dem Leib singen
[dropcap]S[/dropcap]ich einmal so richtig in der Öffentlichkeit blamieren? Das geht am besten beim Karaoke, zum Beispiel jeden Freitag- und Samstagabend im O’Reilly’s. Der geräumige Irish Pub verbirgt sich hinter einer unscheinbaren Fassade auf der Bergstraße nahe dem Neckarufer. Punkten kann das O’Reilly’s durch eine gemütliche Atmosphäre. In dem Hinterraum, in dem das Karaoke stattfindet, führen Stufen hinauf zur Bar. Barhocker stehen an großen Tischen aus Holz. Die Wände sind mit vergrößerten Schwarzweißaufnahmen von alten irischen Männern dekoriert. In einer Ecke hängt eine Dartscheibe. Gegenüber von der Bar befindet sich die kleine Bühne, auf der laut Webseite ab 21 Uhr gesungen wird. Tatsächlich geht es aber erst viel später los.
Nach und nach füllt sich der Raum. Das Publikum ist überwiegend jung, aber über 18, denn der Karaoke-Raum ist gleichzeitig der Raucherbereich des Lokals. Um 23 Uhr steigt ein Mann mit Mikrofon auf die Bühne und begrüßt die Anwesenden auf Englisch. „Es ist Freitagabend! Seid ihr bereit Spaß zu haben?“, fragt er. Kurz und knapp erklärt er die Regeln des Abends. Bevor es losgeht, müssen die gewünschten Songs in den Karaoke-Computer eingegeben werden. Gerne darf auch in der Gruppe gesungen werden. Als kleiner Anreiz gibt es einen Shot für alle Teilnehmenden. Der Moderator macht den Anfang: Mit Blondhaarperücke und aufblasbarer Luftgitarre bietet er eine Bühnenshow zu Jon Bon Jovis „Runaway“.
Die Songauswahl ist riesig. Das Songbook kann auch auf der Webseite des Lokals heruntergeladen werden. Das sollte man jedoch zu Hause tun, denn das angepriesene Gratis-W-LAN funktioniert nicht zuverlässig. Wer keine Lust auf Popmusik hat, kann sich auch an einem der irischen Volkslieder versuchen, die zum Singen angeboten werden. Auch deutsche Musik (zum Beispiel von den „Ärzten“) kann gesungen werden. Bloß aktuelle Hits fehlen; aus den letzten fünf Jahren ist fast nichts vertreten.
Zu hören bekommt man davon trotzdem einige, denn zwischen den Auftritten der Gäste werden immer wieder Lieder gespielt, während der Moderator Stimmung macht. „Popo runter von den Stühlen“, weist er die Zuschauenden an. „Heute wird getanzt!“ Tatsächlich kommt Partystimmung auf. Dafür sorgen auch die zwei Diskokugeln, die an der Decke angebracht sind und die Scheinwerfer, die den Raum in buntes Licht tauchen.
Geburtstagskinder sollten sich darauf gefasst machen, dass man ihnen ein Geburtstagsständchen singt – und sie dann einen Überraschungssong vor allen performen sollen.
Karaoke-Bars, in denen man vor fremdem Publikum singt, sind übrigens ein überwiegend westliches Phänomen. In Japan, dem Ursprungsland des Karaoke, ist es üblich, sich mit Freunden oder der Familie eine Karaoke-Box zu mieten, ein kleines Zimmer, in dem man im Privaten singen kann.
Im O’Reilly’s sollte man sich jedoch auf ein größeres Publikum gefasst machen. Wer erst kommen möchte, wenn das Karaoke beginnt, sollte sich einen der vielen Tische reservieren. Alle anderen können sich die Wartezeit mit typischem Pub-Food verkürzen. Die Preise sind nicht ganz günstig, die Portionen dafür ordentlich. Viele Gerichte eignen sich zum Teilen. Neben Guinness wird auch eine große Auswahl an Whiskeys serviert. Sich Mut anzutrinken, ist jedoch nicht nötig. Der Moderator des Abends stellt gleich zu Beginn klar: „Falls du eine abgefuckte Stimme hast, wollen wir dich unbedingt hören!“
Von Hannah Lena Puschnig