Seit 20 Jahren ist Harry Potter ein Kassenschlager. Ist der Hype gerechtfertigt?
[box type=“shadow“ ]Pro
Wer denkt, Harry Potter handle bloß von Kindern, die mit albernem Zauberstabgefuchtel einem nasenlosen Mann Pseudo-Latein entgegenbrüllen, irrt sich. Harry Potter ist die Aufarbeitung der Sagenstoffe, die unsere Kultur ausmachen: Merlin, Trolle und Sphinxen, die Ringgeister und Riesenspinnen Tolkiens. Die Detailverliebtheit und exzentrischen Charaktere inspirieren. Nebenbei vermittelt Harry Potter Werte wie Mut, Zusammenhalt und Gleichheit. Unter dem Tarnumhang der Metapher werden Rassismus, Depressionen, Homophobie und Sklaverei angesprochen. Gut und Böse sind nicht immer leicht zu unterscheiden: Dumbledore macht Harry zur Schachfigur im Kampf gegen Voldemort und akzeptiert, dass Harry dadurch sterben wird. Er wird zum Spielball der Presse und einer Regierung, die nur an der Erhaltung der eigenen Macht interessiert ist. 16 Jahre muss Harry die Misshandlung durch Tante und Onkel erdulden. Eine Studie ergab, dass Harry Potter-Lesende seltener Donald Trump unterstützen. Das ist kaum überraschend. Sie hinterfragen Autorität, geben sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden. Joanne K. Rowlings größte Kritiker sind wohl diejenigen, die schon als Kinder ihre Bücher geliebt haben. Wie kommt es, dass in den Filmen alle Hauptfiguren weiß sind? Wieso erfährt man in den Büchern nicht, dass Dumbledore schwul ist? Wieso benennt Harry seinen Sohn nach Snape, einem Mann, der Schüler quält, weil er es nicht verknusen kann, dass er von einer Frau zurückgewiesen wurde? Was passiert, wenn man Vielsafttrank trinkt, Sex hat und schwanger wird? Diese Fragen sind es, die Fans antreiben, wenn sie Fanart zeichnen, sich Hausschals stricken und Musicals auf die Beine stellen. Harry Potter verbindet Hufflepuffs, Gryffindors, Ravenclaws und Slytherins gleichermaßen.
Von Hannah Lena Puschnig[/box]
[box type=“shadow“ ]Contra
„Es gibt weder moralische noch unmoralische Bücher. Bücher sind gut oder schlecht geschrieben, sonst nichts“, sagte dereinst Oscar Wilde – im Gegensatz zu J. K. Rowling eine wahre Größe der englischen Literatur. Oder um es anders auszudrücken: Fans von Harry Potter können noch so gute Menschen sein, Rassismus, Homophobie und Sklaverei den Kampf ansagen oder sogar, wäre ihre Zahl nur ein wenig größer, Donald Trumps Wahl verhindern – ein schlechtes Buch bleibt ein schlechtes Buch. Harry Potter ist keineswegs der Erneuerer und Heilsbringer des Fantasy Genres, als der er so oft gepriesen wird, sondern eine Aneinanderreihung überholt geglaubter Fantasy-Klischees. So ist die Facettenlosigkeit unseres Protagonisten kaum zu überbieten. Den Leser erwarten tausende von Seiten, gefüllt mit unserem stets heldenhaften und aufrichtigen Harry, dessen Bescheidenheit nur von der Lautstärke des „Er ist der Auserwählte“-Mantras übertroffen wird. Leider sieht es auf der Seite des Antagonisten auch nicht vielversprechender aus. Abgesehen von dem Fehlen seiner Nase mangelt es dem, dessen Name nicht genannt werden darf, eindeutig an Gründen und Motivation für seine Bösartigkeit. Mit der viel zu schwarz-weiß gezeichneten Gegenüberstellung der beiden gelingt es Rowling schlussendlich, die Langeweile zur Vollendung zu bringen. Zugegeben, man kann der Welt einen gewissen Detailreichtum nicht absprechen, aber dieser bleibt trotzdem weit hinter den großen Vertretern des Genres, wie „Der Herr der Ringe“, zurück. Sicher stößt eine jugendliche Harry Potter-Phase auf allgemeines Verständnis, aber mit dem Erreichen des sechzehnten Lebensjahres wird es Zeit, zu richtigen Büchern zu greifen.
Von Matthias Luxenburger[/box]