Mit „Don Giovanni“ feiert nach „Così fan tutte“ und der „Hochzeit des Figaro“ die düsterste der Da-Ponte-Oper von Wolfgang Amadeus Mozart ihre Premiere im Theater Heidelberg. Da ist die Vorfreude groß, waren doch beide Vorgänger mehr als gelungen. Aber leider bleibt es dabei – denn aus dem krönenden Abschluss wird an diesem Abend ein ziemlicher Reinfall.
[dropcap]D[/dropcap]on Giovanni“ gehört seit Jahrzehnten zu den meistgespielten Opern auf den deutschen Bühnen. Kein Wunder, bietet der Evergreen doch alles, was das Zuschauerherz begehrt: Es wird geliebt und gehasst, intrigiert und gemeuchelt. Und oben drauf gibt es das wohl epischste Nein-Doch-Duell der Musikgeschichte.
In den Mittelpunkt ihrer Oper stellen Mozart und sein Librettist Lorenzo Da Ponte einen Lebemann erster Güte: Don Giovanni, im spanischen Original Don Juan, nennt sich der hispanische Wüstling. Sein Leben besteht aus einer endlosen Kette von sexuellen Eroberungen und Saufgelagen, Gefühle außerhalb der akuten Triebbefriedigung kennt Don Giovanni (Ipča Ramanović) nicht. Seine Frauen sind dem professionellen Pick-up-Artist vollkommen egal. So kommt es, wie es kommen musste: Beim Missbrauch der jungen Adligen Donna Anna (Irina Simmes) ertappt ihn der Komtur (Wilfried Staber), Donna Annas Vater, auf frischer Tat. Er fordert den Schuft zum Duell – und stirbt. Auch wenn Don Giovanni mit seinem Diener Leporello (James Homann) noch einmal entwischt: Sein Ende ist besiegelt. Donna Anna und ihr Liebhaber Don Ottavio heften sich an seine Spuren, fest entschlossen, ihn von dieser Erde zu tilgen.
Don Giovanni versucht derweil, sein gewohntes Leben weiterzuführen. Doch es läuft einfach nicht mehr. Erst stolpert ihm seine ehemaligen Geliebte Donna Elvira (Hye-Sung Na) über die Füße. Und, kaum hat Leporello sie mühsam abgewimmelt, macht ihm die Eifersüchtige auch noch seine neueste Eroberung, die Gemeine Zerlina (Shahar Lavi), madig. „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“, denkt sich der Getriebene. Und so braucht es nur noch ein rauschendes Fest samt versuchter Vergewaltigung und schon ist Don Giovanni wieder auf der Flucht. Und wieder hat er Glück im Unglück: Erst kann er Zefiras Verlobten Masetto (Zachary Wilson) übertölpeln, dann verprügeln seine Häscher Leporello in den Kleidern seines Herrn. Don Giovanni feiert schon sein Entkommen, da klopft das Schicksal an seine Tür: Die Grabesstatue des Komturs erscheint. „Bereue!“, herrscht sie ihn an. Doch der renitente Lüstling will nicht – und büßt seine Sünden mit dem Leben.
Ein bisschen Don Giovanni steckt in uns allen – diese Botschaft will Regisseur Lorenzo Fiorini zu Anfang des Abends vermitteln. Schade nur, dass der spannende Ansatz schon nach wenigen Minuten zugunsten des billigen Witzes aufgegeben wird. Don Giovanni hetzt über die Bühne, schnüffelt und lechzt als wild gewordenes Tier nach allem, was bei drei nicht auf den Bäumen sitzt. Das stört nicht nur wegen seiner inszenierten Plattheit, auch die musikalische Qualität leidet erheblich. Exemplarisch: Ipča Ramanović muss beim Besingen von Wein und Weib („Finch’han dal vino“) wild im Takt mithopsen. Da fehlt nach einer halben Minute die Luft – und am Ende spielen Orchester und Sänger hoffnungslos aneinander vorbei. Zu diesem psychologisierenden Ansatz kommt noch eine obskure geschichtliche Deutung, die den „Don Giovanni“ als unabwendbares Signum eines verfallenen Ancien Régime deuten will. Dass sich da jedem Historiker die teleologischen Fußnägel hochrollen – geschenkt. Denn wirklich abstrus wird es erst, als über eine kleine Innenbühne eine Verbindung zum Faschismus und dann zur 68er-Bewegung angedeutet wird. Das „Warum“ bleibt mysteriös und so versucht Regisseur Fiorini im Programmheft noch einmal zu retten, was zu retten ist: „Es zeigt sich etwas quasi Faschistisches im Verhalten des Vorgebens von Realität, des sich größer Machens als man wirklich ist.“ Don Giovanni sei, so setzt Fiorini seine obskure Faschismus-Deutung fort, Ausdruck und Ausgeburt dieser Geisteshaltung, die die Welt, in der Giovanni sich bewege, befallen habe. Es sei „wie eine Krankheit.“ Selten klang Stuss so poetisch.
Auch das Orchester ist an diesem Abend nicht in Hochform. Die Oboen patzen noch in den ersten Takten der Ouvertüre. Generalmusikdirektor Elias Grandy hat während der gesamten Eröffnung merklich Schwierigkeiten, den Laden beisammen zu halten. Und während das Zusammenspiel mit den meisten Sängern gut klappt, werden die ersten Arien mit Ipča Ramanović als Don Giovanni immer wieder zu Nervenproben. All das bessert sich im Laufe der Vorstellung, sodass man nach einer guten Stunde zumindest die Musik wirklich genießen kann. Das gibt Hoffnung, dass sich die Orchesterperformance im Laufe der Aufführungen bessert. Das Potential ist mit der bewährten Kombination aus Grandy und dem Philharmonischen Orchester Heidelberg jedenfalls gegeben.
So sind es zumindest zwei Aspekte, die einen über diesen Abend hinwegtrösten. Die Sänger und Sängerinnen schlagen sich insgesamt gut. Besonders James Homann als hasenfüßiger Leporello brilliert mit seinem klaren und voluminösen Bass (großartig: „Non sperar, se non m’uccidi“) ebenso wie Hye-Sung Na, die sich mit einem wunderbaren Timbre und exzellentem Spiel immer tiefer ins eigene Unglück singt. Noch auf der Schlussgerade verzaubert Irina Simmes im Herzensbrecher „Non mi dir, bell’idol mio“, nachdem ihre vorherigen Arien vor lauter schmalztriefendem Vibrato nur wenig Freude bereiten. Der zweite Punkt – und das ist vor dem Hintergrund all der kleinen und größeren Katastrophen dieses Abends ein großes Kompliment – ist die Musik selbst. Da mag das Bühnenbild noch so irritieren, wenn der Komtur zu zwei donnernden Akkorden auftaucht und Don Giovanni mit unbedingtem, zwingendem Bass zum letzten Mahl ruft („Don Giovanni, a cenar teco“), dann hält einen nichts mehr. Man muss einfach festhalten: Dieser Mozart rockt.
Von Jakob Bauer
Wirklich eine alberne Aufführung!
Die erste ‚Halbzeit‘ ging ja noch – abgesehen davon, dass DJ auch noch als potentieller Kinderschänder vorgeführt wird, der seinen prospektiven Harem mit einer Art Henrystutzen zusammentreibt.
Den zweiten Akt habe ich nicht bis zum Ende durchgehalten: Der Komtur droht als lächerlicher alter Zausel, Leporello wird (in einer Szene, die lt. Wikipedia heutzutage meist gestrichen wird) von den #MeToo-Aspirantinnen feministisch bestraft, und in einem Kasperle-Guckkasten sehen wir, was die alten weissen Männer sonst noch an Bösem angerichtet haben: Revolutionen, Atombombe und was weiss ich noch alles.
Vielleicht wäre es besser gewesen, den DJ als NAFRI anzulegen? Der hätte mit seinen robusteren Methoden die erwähnte Opfer-Vielzahl auch eher zusammengekriegt. Und man hätte ihm – mit Rücksicht auf seine ganz andere Sozialisierung – die Höllenfahrt erlassen können: Wer immer strebend sich nach Europistan bemüht … Zugleich hätte man ganz aktuell zeigen können, wie sich 2015 ff nur noch die Ochsen und Esel von der AfD dem unaufhaltsamen Siegeslauf des Internationalsozialismus entgegenstemmen.
Vielleicht schreibt der Regisseur (vielleicht zusammen mit einer gleichgestellten Regisseurin) mal eine EIGENE Oper zum Thema? Bei soviel Genie wird das sicher ein Riesenerfolg!