Sexuelle Belästigung beim Feiern gehen ist für Frauen die Regel. Stadt, Clubs und Kneipen versuchen mit Konzepten Abhilfe zu schaffen. Aber ist das Problem damit gelöst?
[dropcap]D[/dropcap]as gehört zum Feiern einfach dazu“, sagt eine junge Frau und nimmt einen Schluck von ihrem Bier in der Ecke einer Heidelberger Kneipe. Was sie meint ,ist nicht etwa der Alkohol, die Geselligkeit oder auch der miefige Geruch der Kleidung am Morgen danach, sondern sexuelle Belästigung. Nicht erst seit dem Hashtag #metoo wissen junge Studentinnen, dass manche Menschen ihnen beim Feiern gern mal an den Hintern fassen oder unflätige Sprüche machen. Damit sie in solchen Situationen nicht allein dastehen, haben die Kneipen, Clubs und die Stadt verschiedene Konzepte und Hilfsangebote ausgearbeitet.
„Nachdem uns Mitte letzten Jahres vermehrt entsprechende Beschwerden von Gästen erreicht haben, hat sich das Konzept der ,Party Angels‘ etabliert“, teilt Malte Wintermantel vom Team der Villa Nachttanz mit. In dem Club gibt es seit Herbst letzten Jahres sozusagen Schutzengel, die über die Partygäste wachen. Ohne Flügel, dafür aber mit neongelben T-Shirts helfen die Freiwilligen dabei, dass den Feierwütigen der Spaß nicht verdorben wird. „Die Idee hinter dem Konzept ist, auf den Veranstaltungen präsent zu sein und in kritischen Situationen frühzeitig zu deeskalieren“, erklärt Reinhard Bracke das Konzept der Engel. Der Sozialarbeiter, der sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagiert, hat das Projekt gemeinsam mit Studierenden und Geflüchteten ins Leben gerufen. „Vielen der Geflüchteten war es ein Anliegen, dabei mitzumachen, weil sie nicht wollten, dass das schlechte Verhalten einiger weniger auf sie alle zurückfällt“, erzählt Bracke.
„Wir mussten kaum einschreiten“
Theoretische Grundlage der Angels ist ein sogenanntes Awareness-Konzept. Awareness bedeutet dabei zunächst einmal Aufmerksamkeit. In einem Leitfaden für Awareness-Teams des AStA Hannover heißt es, Awareness stelle auf Partys das Bemühen dar, den Feiernden einen Raum zu bieten, in dem aktiv gegen diskriminierendes Verhalten vorgegangen wird und Personen Unterstützung finden, wenn das vonnöten ist. Praktisch umgesetzt bedeutet das, dass Freiwillige auf den Veranstaltungen sichtbar sind und immer wieder kleine Rundgänge machen. „Bei uns ist es so, dass die Leute immer in Zweierteams unterwegs sind“, so Bracke. Die Teams bestehen dabei immer aus einer Frau und einem Mann oder einem Geflüchteten und einem Einheimischen. Die Schutzengel arbeiten alle ehrenamtlich und bekommen in der Villa dafür Freigetränke. Insgesamt sind an einem Abend etwa zehn der Ehrenamtlichen im Einsatz, die in Zweierteams je zwei Stunden ein Auge auf die Gäste haben.
Eine Schulung oder Ausbildung bekommen die Freiwilligen nicht, lediglich den Leitfaden des AStA Hannover. „Wenn sich jemand meldet, gehe ich davon aus, dass da die richtige Gesinnung dahinter steckt“, sagt Bracke.
Auf den Feiern beobachten die Angels zunächst einmal die Situation. Fallen stark alkoholisierte oder andere Personen auf, werden diese zunächst angesprochen. „Sie gehen dann erstmal hin und fragen zum Beispiel, wie es der Person geht“, sagt Bracke. Die Idee sei, bereits auf die Leute zuzugehen, bevor die Situation wirklich kritisch werde, und in Kontakt zu kommen. Denn die Party Angels sind keine Security-Mitarbeiter oder Türsteher. „Dafür haben die meisten Veranstalter sowieso Personal“, meint Bracke. Es gehe nicht darum zu intervenieren, sondern zu deeskalieren.
„Interessant für uns war, dass wir kaum einschreiten mussten“, erzählt Bracke. Auch Malte Wintermantel bemerkt die positive Wirkung der Party Angels. „Dadurch, dass wir die Party Angels im Herbst eingesetzt haben, hat sich die Lage inzwischen wieder deutlich entspannt und wir laden sie nur noch zu einzelnen Veranstaltungen ein.“
Wenn die Angels bei Veranstaltungen einen Einsatz haben, stellen sie neben dem Eingreifen auch einen Schutzraum zur Verfügung. So soll ein Rückzugsraum für die betroffenen Personen geschaffen werden. „Dort können sie sich sammeln und danach wieder gut weiterfeiern“, sagt Bracke.
Neben dem aktiven Einschreiten stehen die Freiwilligen auch als Ansprechpartner für Betroffene bereit. Dabei gilt, wie es in dem Awareness-Leitfaden heißt: „Die Definition, ob eine sexualisierte Grenzverletzung vorgefallen ist, liegt einzig und allein bei der betroffenen Person“. Wichtig sei es, die Person ernst zu nehmen und Partei für sie zu ergreifen.
Das sieht auch Dirk, der Besitzer des Eckstein in der Altstadt, so: „Männer, die bei uns Frauen belästigen, fliegen raus.“ Es gebe da keine Toleranz. Der 47-Jährige war viele Jahre bei der Polizei und kann auch deshalb in gefährlichen Situationen kompetent eingreifen. „Vor acht Wochen gab es einen Fall, bei dem eine junge Frau belästigt wurde“, erzählt er. „Wir haben dann, wie bei uns üblich, nachgefragt was passiert ist, sind aber auf der Seite der Frauen.“ Dass tatsächlich etwas passiert, sei im Eckstein aber selten.
Laut Zahlen der Polizei sind im vergangenen Jahr 22 Fälle von Straftaten im Bereich sexueller Gewalt in der Altstadt zur Anzeige gebracht worden. Der Sprecher des Polizeipräsidiums Mannheim, Thomas Habermehl, teilt jedoch mit, dass ein leichter Anstieg im Bereich Heidelberg-Altstadt erkennbar sei. Dennoch scheinen die Zahlen relativ niedrig zu sein. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass viele junge Frauen die Belästigungen gewohnt sind und deshalb nicht zur Anzeige bringen.
So erzählt auch Sina, Mitarbeiterin im Mohr in der Unteren, dass Gäste ihr „natürlich auch mal an den Hintern fassen“. Ein Problem sieht die 26-Jährige aber nicht. Man kenne die Leute und wisse, wie man sich verhalten könne. „Wenn es wirklich mal Probleme gibt oder ein Gast zu uns kommt und uns um Hilfe bittet, haben wir einen Türsteher“, erklärt sie. Von Codewörtern, wie sie in manchen Bars verwendet werden, hält sie wenig. In solchen Bars hängen auf den Damentoiletten Schilder mit dem Hinweis, dass man einen bestimmten Drink bestellen soll, wenn man sich belästigt fühlt. „Die Männer sind ja auch nicht blöd und haben von den Codewörtern gehört“, meint Sina. Zu Belästigungen komme es im Mohr sowieso kaum. „Und wenn was ist, können die Leute immer zu uns kommen“, betont Sina.
„Mir wird schon mal an den Hintern gefasst“
Auf dem Weg vom Feiern nach Hause sieht das schon anders aus. Denn wenn man auf einer dunklen Straße nach Hause läuft und belästigt wird, ist Hilfe oft weit weg. Aus diesem Grund fördert die Stadt Heidelberg das Frauennachttaxi. „Wer sich auf Wegen, Straßen und Plätzen nicht sicher fühlt, kann nicht im gewünschten Maße am öffentlichen Leben teilnehmen“, erklärt Christiane Calis vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit Heidelberg die Einführung des Nachttaxis.
Dabei erhalten Frauen ab 14 Jahren mit Wohnsitz in Heidelberg bei Bürgerämtern für sieben Euro Fahrscheine für Taxis. Diese können dann zwischen 22 und sechs Uhr bei bestimmten Taxis eingelöst werden. Aufgrund von Angeboten wie diesem wurde Heidelberg 2016 vom Focus als für Frauen sicherste Stadt Deutschlands ausgezeichnet. Das Magazin untersuchte 77 Städte auf ihre Frauenfreundlichkeit. Welche Kriterien bei der Platzierung der Städte angelegt wurden, geht aus dem Bericht der Zeitschrift allerdings nicht hervor.
An Orten, an denen es häufiger zu sexueller Belästigung kommt, setzt die Polizei Heidelberg außerdem vermehrt Streifen ein. „Der Bereich Neckarwiese wird von Polizisten im Rahmen eines Schwerpunktprogramms in den Monaten von März bis September verstärkt überwacht“, so Polizeisprecher Habermehl. „Auch jetzt, in der dunklen Jahreszeit, ist die Neckarwiese nach wie vor ein Schwerpunkt der Streifentätigkeit.“ Auch am Bismarckplatz würden die Beamten so oft wie möglich Präsenz zeigen, der Ort sei nach Meinung der Polizei allerdings kein Schwerpunkt sexueller Belästigung. Doch auch ohne Schwerpunktklassifizierung der Polizei erleben junge Frauen dort unangenehme Begegnungen, wenn sie nachts auf die letzte Straßenbahn oder den Nachtbus warten.
Um jungen Frauen für solche Fälle einen Leitfaden an die Hand zu geben, hat die Polizei darüber hinaus Hinweise herausgegeben, wie sich Betroffene in Fällen von sexuellen Übergriffen verhalten können. Die Tipps sind jedoch bis auf wenige Ausnahmen sehr intuitiv. So heißt es beispielsweise, man solle gefährliche Situationen von vornherein vermeiden oder sich im Zweifelsfall wehren. Abwehrwaffen wie Pfefferspray empfiehlt Habermehl jedoch nicht: Oft sei nicht bekannt, wie man dieses richtig einsetzt. „Im Ernstfall kann diese Unsicherheit zu noch gefährlicheren Situationen führen, nämlich dann, wenn das Spray von einem Angreifer gegen die Betroffene selbst eingesetzt wird.“
Junge Frauen, die sich belästigt oder bedroht fühlen, sollten stattdessen den Notruf wählen und so Hilfe holen. Betroffene können sich in Heidelberg zusätzlich an den Frauennotruf und den Weissen Ring wenden. Dort erhalten Frauen und Mädchen, die Gewalt und Belästigung erfahren haben, Unterstützung bei der Verarbeitung des Geschehenen und werden über ihre Handlungsoptionen informiert. Der Frauennotruf betreibt darüber hinaus Aufklärung zum Thema K.o.-Tropfen. Mit Hilfe von Postkarten und Plakaten in Bussen, Bahnen und an vielen öffentlichen Orten wird Aufklärung betrieben. So sollen junge Frauen für das Thema sensibilisiert und gefährliche Situationen vermieden werden.
In Heidelberg gibt es also zahlreiche Konzepte, die verhindern sollen, dass Frauen sexuell belästigt werden oder Betroffenen Hilfe bieten. Trotzdem gehören Grapschen und dumme Sprüche für sie leider noch immer zum Feiern dazu. Bis sich das ändert, hilft nur eins: Das übergriffige Verhalten nicht dulden, Türsteher, Polizei und andere Partygäste darauf aufmerksam machen und Beratungsangebote nutzen. Und hoffentlich können dann in ein paar Jahren Frauen in Heidelberger Bars sitzen und sagen: „Das gehört für mich zum Feiern dazu.“ Und meinen nur den miefigen Geruch der Kleidung am nächsten Morgen.
Von Esther Lenhardt
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Hilfe für Betroffene
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Telefonisch erreichbar unter 110 oder 112
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Weisser Ring Heidelberg
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