Die neue Forschungsstelle Antiziganismus in Heidelberg erforscht die Diskriminierung von Sinti und Roma
[dropcap]L[/dropcap]äuft man durch Heidelberger Supermärkte, sieht man in den Regalen bisweilen Zigeunersauce stehen. Ist ja auch eigentlich nichts dabei und Sinti-und-Roma-Sauce würde schließlich seltsam klingen – oder? Mehr als 70 Jahre nach dem Völkermord an den Sinti und Roma ist Antiziganismus, also die Diskriminierung dieser Volksgruppen, immer noch Teil unseres Alltags. Am Historischen Seminar der Uni Heidelberg ist Ende Juli nun eine neue Forschungsstelle Antiziganismus gegründet worden. Dort soll das Phänomen erforscht und aufgearbeitet werden.
Diese Forschung ist bitter nötig. Denn immer noch fehlt vielen Menschen die Sensibilisierung für dieses Thema. „Wenn ich Vorträge halte, erlebe ich immer wieder, dass Personen überhaupt nicht wahrnehmen, dass es sowas gibt wie Antiziganismus“, erzählt Daniela Gress, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsstelle.
Dabei ist die Diskriminierung von Sinti und Roma in Deutschland und anderen europäischen Ländern immer noch an der Tagesordnung. Zur Zigeunersoße in den Supermarktregalen gesellen sich das Zigeunerschnitzel und Wahlplakate mit Sprüchen wie „Geld für die Oma statt Sinti und Roma“. Doch diese Diskriminierung wird selten thematisiert. „Dass Sinti und Roma oder Personen, die als solche wahrgenommen werden, Diskriminierung erleiden, ist kaum bekannt“, erklärt Gress.
Die verspätete Aufarbeitung dieses Themas hänge vor allem damit zusammen, dass antiziganistische Strukturen nach dem nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma in der Bundesrepublik weiter bestehen konnten. „Es ist eine sehr kleine Minderheit ohne Lobby“, erklärt Gress. So konnten die Diskriminierungsstrukturen weiterbestehen. „Wenige Täter wurden bestraft; gerade in Polizeibehörden, in denen sie maßgeblich saßen, konnten sehr viele ihre Karrieren fortsetzen“, erzählt Gress. „Man hat die Legende gesponnen, dass Sinti und Roma aufgrund ihrer Neigung zur Kriminalität verfolgt worden wären.“ Diese gesellschaftlichen Strukturen haben dazu geführt, dass auch der Völkermord erst 1982 offiziell anerkannt wurde. „Wenn das 30 Jahre zu spät kommt, hinkt auch alles hinterher, was darauf folgt“, erklärt die Historikerin das späte Entstehen der Forschungsstelle.
Finanziert wird die neue Abteilung am Historischen Seminar vom Wissenschaftsministerium Baden-Würt-temberg. Denn das Land hatte 2013 mit dem Landesverband deutscher Sinti und Roma einen Staatsvertrag zur Minderheitenförderung geschlossen, in dem sich beide Parteien zum Aufbau einer solchen Forschungsstelle verpflichtet haben.
Dort wollen die Historiker neben der historischen Aufarbeitung des Themas auch interdisziplinär arbeiten. „Wir werden auch mit Soziologen zusammenarbeiten, mit Medien- und Literaturwissenschaftlern, weil Antiziganismus nicht nur ein Phänomen ist, das historisch untersucht werden muss“, sagt Gress. In den kommenden Semestern soll es darüber hinaus auch Lehrveranstaltungen geben.
Daniela Gress selbst ist in ihrem Studium im Rahmen einer Lehrveranstaltung auf das Thema aufmerksam geworden. „Innerhalb eines Seminars habe ich gemerkt, wie wenig dazu bisher geforscht wurde“, erzählt sie. Auch deshalb hält sie es für wichtig, dass die Forschungsstelle regelmäßig Lehrveranstaltungen anbieten wird. Nur so ließe sich wissenschaftlicher Nachwuchs generieren. „Und es sitzen auch immer Lehramtsstudierende dabei, die als Multiplikatoren wirken können“, meint Gress.
Sensibilisierte Lehrkräfte und junge Forschende können dafür sorgen, dass die Gesellschaft ihre anitziganistischen Verhaltensweisen reflektiert und verändert. Und vielleicht verschwindet dann in ein paar Jahren auch die Zigeunersauce aus den Supermarktregalen.
Von Esther Lenhardt