In „Goethes Faust und Einsteins Haken“ lassen zwei studentische Autoren die Geistes- und die Naturwissenschaften gegeneinander antreten
Es war sicher nicht der ruhmreichste Moment für die Wissenschaft, als der niederländische Forscher Martinus van Marum im Jahr 1799 auf die Idee kam, Pflanzen unter Strom zu setzen. Mit der Mimose hatte sich van Marum zudem eine besonders empfindliche Spezies ausgesucht. Was würde bloß passieren, wenn man sie an einen Stromkreislauf anschließt? Das Ergebnis fiel ernüchternd aus: Die Pflanze klappte einfach ihre Blätter ein – wie langweilig, denn das tut sie bekanntlich auch ohne Strom. Doch Strom war gerade der heißeste Scheiß und man probierte eben alles aus, was man ausprobieren konnte.
Was kann man daraus lernen? Zum Beispiel, dass eine vermeintlich pfiffige Idee noch lange nicht zu einem brauchbaren Ergebnis führt. Eine solche Idee hatten auch Annika Brockschmidt und Dennis Schulz. In ihrem Buch „Goethes Faust und Einsteins Haken“ lassen die beiden Heidelberger Studenten die Geistes- und Naturwissenschaften gegeneinander antreten. Das bietet Zündstoff, schließlich haben beide Disziplinen angeblich wenig gemein und ihre liebe Mühe und Not damit, sich gegenseitig zu akzeptieren.
Mit Brockschmidt als Geschichts- und Germanistikstudentin und Physikdoktorand Schulz schreiben hier zwei Autoren, die den Wissenschaftsbetrieb gut kennen und auch über den Tellerrand ihrer Fächer blicken. In zehn Runden argumentieren sie jeweils im Wechsel für ihre Disziplin, in jeder Runde zu einem neuen Thema. So werden etwa die schillerndsten Gestalten, krassesten Irrlehren oder größten Übeltäter gesucht. Das ist vor allem deshalb überzeugend, weil dem Leser dabei immer wieder unterhaltsame und überraschende Anekdoten geliefert werden.
Zwar ist nicht alles so ulkig wie van Marums niedliche Stromexperimente, aber die Mischung kann sich durchaus sehen lassen. Sie wird zudem in einer angenehm lockeren Sprache dargeboten, die dem Wissenschaftsbetrieb üblicherweise fremd ist, geschmückt mit meist amüsanten popkulturellen Referenzen. Das klingt nach einem lesenswerten Buch und genau das wäre „Goethes Faust und Einsteins Haken“ auch, wenn man die Anekdoten nicht in das sprachliche Bild des Boxkampfes gesteckt hätte.
Brockschmidt und Schulz sollen nun also die Boxtrainer sein, die Wissenschaftler sind ihre Boxer, der Leser der Ringrichter. Das funktioniert schon deshalb nicht, weil die großen Universalgelehrten der Wissenschaftsgeschichte nicht einem der Lager zugeordnet werden können. So beginnt ein Ringen darum, wer hier eigentlich mit wem argumentieren darf.
Und der Leser wird in seiner Rolle als Ringrichter vor das Problem gestellt, in jeder Runde zwischen Äpfeln und Birnen entscheiden zu müssen. Auch die Sprache leidet unter dem Vergleich. Mit unermüdlicher Konsequenz hämmern die Autoren dem Leser Metapher um Metapher ins Hirn. Das wirkt spätestens am Ende der Einleitung ermüdend. Dass die Autoren, bevor sie inhaltlich zur Sache kommen, diesen Firlefanz zudem in jedem Kapitel wiederholen, macht es nicht besser. Als würden echte Boxer vor jeder Runde einen kleinen Debattierclub abhalten, bei dem sie ihrem Gegenüber erklären, warum sie jetzt ganz besonders fest zuschlagen werden.
Am Ende des Buches nimmt der Leser neben mehr oder weniger nützlichem Wissen vor allem die Erkenntnis mit, dass Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft doch gar nicht so verschieden sind und vielmehr miteinander kuscheln, als gegeneinander boxen sollten. Auf die Frage, wer nach diesem Buch nun gewonnen hat, gibt es daher nur eine Antwort: die Wissenschaft, ganz egal welche.
Von Jesper Klein