Die BUND-Hochschulgruppe Heidelberg hat einen Leitfaden für nachhaltiges Studieren veröffentlicht. Das ist gut gemeint, doch Umweltschutz ist zu komplex für eine einfache To-do-Liste
[dropcap]N[/dropcap]achhaltigkeit ist der neuste Trend. Längst ist das Thema nicht mehr nur etwas für Alt-Achtundsechziger, die mit ihren Pluderhosen auf dem Gebrauchtfahrrad durch die Weststadt fahren und nur handgestreicheltes Biogemüse essen. Und das ist auch gut so. Denn jedes Jahr lebt die Menschheit ökologisch über ihre Verhältnisse. In diesem Jahr haben wir alle am 6. August nach Berechnungen von Wissenschaftlern des Global Footprint Network, einer kalifornischen Forschungsgruppe, die gesamten nachhaltig nutzbaren Ressourcen der Erde für 2017 verbraucht.
Was kann ich tun? Es mangelt nicht an Tipps und Anleitungen für ein nachhaltigeres Leben. Selbst im konservativen Focus liest man Überschriften wie „Toilettenpapier, Kochen, Waschen: So retten Sie die Umwelt jeden Tag.“ Gemäß unserem modernen Zeitgeist werden diese Anleitungen wie Diätratgeber oft auf bestimmte Gruppen zugeschnitten. Umweltschutz für Berufstätige, Frauen, Manager und so weiter. In diesem Sinne hat die BUND Hochschulgruppe in Heidelberg einen Leitfaden für nachhaltiges Studieren herausgegeben.
Mit elf Tipps zum „Geld sparen, Heidelberg entdecken und dabei auch noch was für die Umwelt tun“ ist der Leitfaden übersichtlich, folgt aber dem üblichen Credo solcher Anleitungen: Ganz nebenbei was für die Umwelt tun. Doch wie kann man denn nun nachhaltiger leben?
Tipp eins: Ecosia statt Google als neue Suchmaschine verwenden. Für die bei den Suchanfragen verwendete Energie pflanzt die Initiative Bäume. Tatsächlich liefert Ecosia auch gute Ergebnisse und der Baumzähler oben rechts gibt einem das Gefühl, richtig was für die Umwelt getan zu haben. Auch eine wiederbefüllbare Flasche zu kaufen, ist einfach umzusetzen. Und zumindest unter Hipstern erntet man dafür Anerkennung.
So weit, so einfach. Schwieriger wird es beim Thema Einkaufen: Der Leitfaden empfiehlt, möglichst unverpacktes Obst und Gemüse zu kaufen. Außerdem soll man auf die Herkunft achten: „Je näher, desto besser!“ Und so steht der Durchschnittsstudent in einem großen deutschen Supermarkt und hat die Wahl zwischen abgepackten Biotomaten, abgepackten Tomaten aus Deutschland und losen Tomaten aus den Treibhäusern Spaniens. Quizfrage: Was ist da jetzt die nachhaltigste Entscheidung? Richtig: Bei Bioläden oder in verpackungsfreien Läden wie „Annas Unverpacktes“ oder „Apple un’ Ei“ einkaufen. Das strapaziert den studentischen Geldbeutel nicht unerheblich, führt einen aber einen Schritt näher an ein nachhaltiges Leben. In Heidelberg kann man dafür auch bei den sogenannten Fairteilern vorbeischauen: Sammelstellen für Lebensmittel, die von Supermärkten abgegeben werden. Das ist kostenlos, man ist aber sehr vom Angebot abhängig.
Noch schwieriger wird die Weltrettungsmission beim Thema Kleidung. Zwar gibt es seit einiger Zeit sogenannte Faire Mode in Onlineshops wie Armed Angels oder Grundstoff. Doch die Preise in den digitalen Regalen für Shirts und Hosen sind nicht gerade studentenfreundlich. Günstiger kommt man dann schon bei Flohmärkten oder Kleidertauschpartys weg. Wer allerdings gezielt ein bestimmtes Kleidungstück sucht, wird hier nur selten fündig. Und auch auf Online-Second-Hand-Portalen wie Kleiderkreisel muss man oft lange suchen, bis man das passende (im doppelten Sinne des Wortes) Kleidungstück findet.
Und schließlich ist es damit noch nicht getan: Wenn man dann als frisch gebackene Weltrettungs-studentin mit seiner wiederbefüllbaren Plastikflasche in der Baumwollumhängetasche sein wöchentliches Budget für Essen im Bioladen gnadenlos überzieht, um dann zu Hause mehrere Stunden auf Kleiderkreisel nach dem neuen Blazer für das Bewerbungsgespräch zu suchen, ist das Leben nämlich immer noch nicht nachhaltig. Wenn man dann alle Punkte auf der Liste abgearbeitet hat, jede Literatursuche brav über Ecosia ausführt, dabei unverpacktes biologisch angebautes Obst aus der Region isst und sich ganz stolz fühlt, wird einem klar, dass man immer noch nicht nachhaltig lebt. Doch bevor man frustriert den wenig nachhaltigen PC samt Smartphone aus dem Fenster wirft und beschließt, doch auf den Selbstversorgerhof in die Uckermark zu ziehen, sollte einem klar werden, dass niemand die Welt im Alleingang retten kann.
Die Tipps der BUND-Hochschulgruppe sind wertvoll, ersetzen aber eigenes Nachdenken nicht. Ein Leben in unserer modernen Gesellschaft ist per se nicht nachhaltig. Der verzweifelte Versuch, es komplett nachhaltig zu gestalten, ist müßig und teuer. Wer nun glaubt, sich damit aus der Affäre ziehen zu können, der irrt. Denn alle Studierenden können auch ohne großartige finanzielle Mittel und Zeit Kleinigkeiten umsetzen. Beispielsweise kann man sich vornehmen, tierische Produkte wie Milch nur noch Bio zu kaufen und dann sind die abgepackten Äpfel auch in Ordnung. Denn auch klein Anfangen hat schon eine Wirkung und beruhigt das eigene Gewissen. Die Welt retten wird damit keiner, aber zumindest ein Anfang ist gemacht.
Von Esther Lehnardt