Beim Prêt à lire-Festival begegneten sich junge Schreibende und ihre Romanfiguren in einem besonderen Gesprächsrahmen
Fünf Autorinnen und Autoren, zwei Abende, ein Konzept. Im Zuge des diesjährigen Festivals Prêt à écouter im Karlstorbahnhof gab es auch einen Salon für aktuelle Literatur. An zwei aufeinanderfolgenden Abenden trafen sich fünf junge Autorinnen und Autoren bei Kerzenschein und Wohnzimmeratmosphäre, um über sich und ihre Bücher zu reden und aus ihnen zu lesen. Durch den Abend führte Querfeldein, eine studentische Initiative mit dem Ziel, mit interessanten Menschen in ungewöhnlichen Formaten ins Gespräch zu kommen. Die Gespräche und Lesestellen wurden musikalisch kommentiert von Mark Moody, der am Klavier unmittelbar auf das Gehörte reagierte.
Lana Lux las mit heller Kinderstimme aus ihrem Roman „Kukolka“, der Themen wie Heimkindheit, Flucht aus der Ukraine und Zwangsprostitution bearbeitet. Der Schreibimpuls war ein Kurs an der Volkshochschule, die Geschichte kam zu ihr, der Schreibprozess war phasenweise fordernd und anstrengend. „Was macht diese verdammte Figur mit mir?“, hat sie sich selbst immer wieder gefragt. Aber sie fühlte sich in der Verantwortung, die Geschichte ihrer Figur auszuhalten und aufzuschreiben. Auch Hendrik Otremba spricht von einer Verantwortung gegenüber seiner Figur, ein kaputter, verlorener Detektiv, der sich in einer dystopischen, glücklosen Welt bewegt: „Irgendwann tat es mir weh, wenn ich ihm wehgetan habe.“ In seinem Roman „Über uns der Schaum“ wollte er bewusst Bezug auf das Jetzt nehmen, „aus politischem Sinne etwas schaffen, das gefährlich ist“.
Die beiden lieferten sich gegenseitig die Stichwörter, entdeckten laufend Parallelen zwischen sich und ihren auf den ersten Blick so unterschiedlichen Werken. Ihnen zuzuhören machte Spaß. Am Ende des Abends fragte Hendrik Otremba: „Können sich unsere Protagonisten nicht kennenlernen?“ Ein bisschen haben sie es getan und das Publikum mit ihnen. Dem zweiten Abend hat etwas von der spielerischen Leichtigkeit des ersten gefehlt. Obwohl Theresia Enzensberger, Emilia Smechowski und Simon Strauß einiges gemeinsam haben, kamen sie nicht so recht ins Gespräch. Alle drei Romane wurden als „Aufbruchswerke“ bezeichnet, die drei Protagonisten kommen aus dem Journalismus und sind sich in anderen Kontexten schon mal begegnet. Theresia Enzensberger las aus ihrem Bauhaus-Roman „Blaupause“, der im Weimar der 1920er spielt. Ein Anknüpfungspunkt an diese Epoche war für sie der auch jetzt wieder zu beobachtende Rückzug in die Innerlichkeit, der im Bauhausmilieu von den Neuromantikern verkörpert wurde. Ihr Buch wurde in Rezensionen durchaus kontrovers besprochen und politisch gelesen, auch wenn es eigentlich nicht ihr Vorsatz war, ein politisches Buch zu schreiben.
Simon Straußʼ Buch „Sieben Nächte“ ist nach Eigenaussage „radikal subjektiv“, zentrales Thema ist die Angst sich festzulegen. Zu 95 Prozent ist sein Protagonist er selbst, meint er, und der Roman eine „permanente Selbstanklage“. Ein junger Mann hat Angst, sich in der bürgerlichen Banalität eines gewöhnlichen Lebenslaufes mit Festanstellung, Babybrei und Tatortabenden zu verlieren und versucht ein letztes Mal dagegen aufzubegehren.
Subjektiv ist auch das Buch „Wir Strebermigranten“ von Emilia Smechowski, die unter anderem als „mutigste Autorin ihrer Generation“ bezeichnet wurde. Darin schildert sie ihre eigene Geschichte als Kind von ehrgeizigen polnischen Immigranten, den Druck es in Deutschland „zu schaffen“ und aufzusteigen und damit einhergehende Identifikationsprobleme.
In den wenigen Momenten, in denen ein echtes gemeinsames Gespräch entstand, wurde die Diskussion schnell politisch. Dabei stießen die drei auf Widerstände, potentielle Konfliktpunkte, aber anstatt diese zuzulassen, nahmen sie sich zurück und das Gespräch ebbte wieder ab. Schade. Denn auch in der Wohnzimmerkuschelatmosphäre wäre Raum für Widersprüche gewesen.
Dennoch, eine steife Interviewatmosphäre kam an keinem der beiden Abende auf. Querfeldein führte echte, interessierte Gespräche mit echten, interessanten Menschen. Gerade weil man an keiner routinierten, glatten Professionalität abrutschte, fand man Anhaltspunkte. Eine schöne Veranstaltungsreihe, das Konzept ist aufgegangen. Hier ist etwas gelungen.
Von Dorina Marlen Heller