Springer Nature lässt Artikel zu heiklen Themen in China sperren. Trotz internationaler Proteste hält der Heidelberger Verlag bisher an der Zensur fest
[dropcap]A[/dropcap]uf Anraten der chinesischen Regierung hat der international agierende Wissenschaftsverlag Springer Nature im November Teile seiner Inhalte in China gesperrt. Betroffen sind mindestens 1000 Artikel mehrerer Zeitschriften wie dem Journal of Chinese Political Science und International Politics, in denen politisch sensible Themen behandelt werden. Vorrangig sind damit die „3 T“ gemeint: Tibet, Taiwan und das Tiananmen-Massaker. Dahinter stehen unzureichend geklärte Konflikte der chinesischen Politik, die großes Streitpotential aufweisen und daher sowohl nach außen als auch im eigenen Land tabuisiert werden.
Springer selbst bedauere die Maßnahmen zutiefst, heißt es im Statement des Verlags. Man habe sich für den Schritt entschieden, um wesentlich massivere Auswirkungen für Kunden und Autoren zu vermeiden. Es habe das Risiko bestanden, dass sämtliche Publikationen gesperrt würden. Weiter heißt es, dass weniger als ein Prozent des gesamten Verlagsangebots in China gesperrt worden sei. Über die genaue Anzahl und Auswahl der Artikel hält sich Springer jedoch bedeckt.
Nicht zum ersten Mal lässt ein Verlag auf Wunsch der Regierung Inhalte in China zensieren: Im August dieses Jahres ließ der Verlag Cambridge University Press (CUP) über 300 Artikel des Journals The China Quarterly aus seinem Onlineangebot in China herausnehmen. Die Fachzeitschrift ist eine der führenden Publikationen für Forschung zum modernen China und genießt international hohes Renommee. Daher löste die Nachricht der Zensurmaßnahmen eine Protestwelle aus: Weltweit verurteilten Forscher die Verlagsentscheidung und riefen teilweise zum Boykott auf, sollte der Verlag an der Zensur festhalten. Im Gegensatz zu Springer widerrief CUP seine Entscheidung unter dem massiven öffentlichen Druck wenige Tage später und stellte die gesperrten Inhalte in China wieder zur Verfügung.
Warum CUP seine Zensurmaßnahmen revidiert hat, während Springer derzeit an ihnen festhält, ist nicht eindeutig zu beantworten. Auf Anfrage des ruprecht wollten sich nur wenige Experten zu den Geschehnissen äußern. Seinen Namen in der Zeitung lesen wollte niemand. Kevin Carrico von der australischen Macquarie Universität beleuchtet im Online-Journal des China Policy Institute die Thematik. Er kritisiert unter anderem die weltweite Forschergemeinschaft: Während die Selbstzensur des prestigeträchtigen The China Quarterly massive Empörung auslöste, fielen die Proteste bei Springers weniger einflussreichen Journals nur gering aus.
Wirtschaftliche Faktoren sind in diesem Zusammenhang ebenfalls relevant. Heutzutage kommen 20 Prozent der weltweiten Publikationen aus China. Besonders stark ist das Land im naturwissenschaftlichen Bereich, in dem Springer Nature hauptsächlich agiert. Die Zusammenarbeit mit chinesischen Universitäten ist nicht nur erwünscht, sie ist außerdem lukrativ. Wer in hochkarätigen internationalen Journals wie Nature aus dem Hause Springer veröffentlicht, wird als chinesischer Forscher vom Staat bezahlt. Daher ist anzunehmen, dass China eine zunehmende wirtschaftliche Kraft für westliche Verlage darstellen wird. Aufmerksamkeit erregte auch eine kürzlich beschlossene Kooperation zwischen dem Wissenschaftsverlag und dem Internet-Konzern Tencent. Der Technikgigant betreibt unter anderem den WhatsApp-Klon WeChat, der wiederholt in der Kritik steht, zur Internetzensur und Überwachung seiner Nutzer verwendet zu werden. Laut SWR wurden Zusammenhänge zwischen dem Tencent-Deal und den Zensurmaßnahmen von Seiten des Verlags zurückgewiesen. Ein weiteres Projekt verbindet Springer wirtschaftlich mit China: Der Verlag wird die englische Übersetzung des Buchs „Xi Jinping erzählt Geschichte“ veröffentlichen, ein Buch über Xis eigene Geschichte und seine Geschichte von China.
Auch wenn die Eigenzensur von Springer Empörung auslöst, ist sie keine Besonderheit. Das Land, das auf der Rangliste der Pressefreiheit regelmäßig auf den hintersten Plätzen landet, beschäftigt über zwei Millionen Arbeitnehmer für die tägliche Überwachung von Onlinebeiträgen. Dass Zensur in China Alltag ist, wird bei einer Zusammenarbeit jedoch schnell ausgeblendet. Erst prominente Vertreter der Selbstzensur wie Springer rücken diese Tatsache ins öffentliche Bewusstsein.
Einzelne Betroffene bleiben allzu oft still. Dabei gilt: Niemand muss bei einem Verlag veröffentlichen, der gegen die Freiheit der Wissenschaft agiert. Das haben einige Wissenschaftler immer wieder betont. Abzuwarten bleibt, ob die Forscher zu ihren Worten stehen, oder weiterhin zum Wohle ihrer Karriere bei Springer publizieren und damit die Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit billigend in Kauf nehmen.
Von Esther Megbel