Ein Doppelleben in Heidelberg: Sarah Köhler ist Europameisterin im Schwimmen und studiert gleichzeitig Jura.
[dropcap]M[/dropcap]it einem Dutt, schwarz lackierten Fingernägeln und einem Hilfiger Pullover sitzt sie bei Starbucks und nippt an einem Kaffee: Die Europameisterin über 800 Meter Freistil.
Typisch für den Heidelberger Winter peitscht der Regen gegen das Fenster des Cafés, der Raum ist gefüllt mit Menschen, die damit beschäftigt sind, angestrengt auf ihren Laptopbildschirm zu starren. Und inmitten dieses Alltags sitzt das größte Schwimmtalent Deutschlands. Sarah Köhler gewann im Dezember 2017 eine Silber- und eine Goldmedaille bei den Kurzbahneuropameisterschaften. Ihr Berufswunsch ist allerdings, Juristin zu werden. So studiert die 23-Jährige neben ihren zahlreichen Wettkämpfen Jura in Heidelberg.
Auf Sarahs Handgelenk ist „Every Day I see my Dream“ tätowiert. Und nur mit dieser Zielstrebigkeit scheint ein Doppelleben als Jurastudentin und international bekannte Schwimmerin möglich. Dieses Leben begann für Sarah mit neun Jahren, als sie versuchte einen Bademeister zu überzeugen, ihr die Schwimmabzeichen Bronze, Silber und Gold an einem einzigen Tag abzunehmen. Dieser schlug ihr vor, zukünftig in einem Verein zu schwimmen. Mittlerweile tritt Sarah für die SG Frankfurt an und trainiert in einer neunköpfigen Gruppe mit ihrem Trainer im Olympiastützpunkt im Neuenheimer Feld. Lediglich einen Tag in der Woche gönnt sie sich eine Pause von ihrem täglich zwei- bis vierstündigen Training.
Den freien Tag nutzt sie für ihr Studium, außer ein Wettkampf steht an. Ihre Trainingsgruppe könnte nicht internationaler und mit fünf Schwimmern, die bei Olympia waren, nicht erfolgreicher sein. „Es wäre gelogen zu sagen, wir wären keine Konkurrenten, aber wir sind trotzdem ein Team.“, meint Sarah und nickt. Wie sie sich täglich zu diesem straffen Trainingsprogramm motivieren kann, beantwortet sie mit einem Vergleich zu ihrem zweiten Leben: „Die Anstrengung ist ein tolles Gefühl; so ähnlich wie wenn man eine Klausur geschrieben und sie bestanden hat.“ Ihre Klausuren meistert Sarah durch Unterstützung der Universität. Jedes Semester vereinbart sie mit dem Leiter des Prüfungsamtes, ob sie ein Urlaubssemester beantragen wird oder nicht. „Ich bin der Uni dankbar, dass sie mich bei meinem Schwimmen unterstützt und ich zum Beispiel mal eine Hausarbeit schieben kann.“ Unterstützt wird sie auch von ihrer Familie. Der große Traum ihrer Oma war, einmal die Nationalhymne zu hören, wenn sie ihre Enkelin im Fernsehen sieht. Als Sarah Europameisterin wurde, ging somit auch der Traum von Sarahs Oma in Erfüllung und sie weinte vor Freude.
Sarahs nächstes großes Ziel ist 2020 in Tokio unter die Top Fünf bei Olympia zu kommen, 2016 wurde sie Achte. Druck versucht sie trotz ihres großen Ziels zu vermeiden. „Wir sind keine Maschinen, sondern nur Menschen und haben auch mal schlechte Tage.“
Zeitnah nach Olympia wird Sarah ihre Schwimmkarriere aufgeben. „Irgendwann reicht es einfach und in den 30ern ist für Schwimmer sowieso Schluss“. Langweilig wird es in Sarahs Leben aber trotzdem nicht, denn dann plant sie ihr juristisches Staatsexamen. Neben ihrem Studium und dem Schwimmen verbringt Sarah so viel Zeit wie möglich mit Freunden. Trotzdem vermisse sie das Studentenleben ab und an. „Irgendwann möchte ich auch mal als Otto-Normal-Verbraucher leben“, meint sie und lacht.
Trotz des Medienrummels hat Sarah ihren Erfolg noch nicht wirklich erfasst. „Erst wenn ich bei meinem nächsten Wettkampf als Europameisterin aufgerufen werde, werde ich meinen Sieg realisieren“, meint Sarah und grinst breit.
Eine typische Juristin ist sie nicht, aber eine typische Sportlerin auch nicht. Ihre blauschimmernden Ohrstecker, ihr Dutt und ihr selbstbewusstes Auftreten passen ideal auf die Vorurteile des Prototyps einer Jurastudentin. Allerdings verbringt sie ihr Leben nicht in der Bibliothek, sondern im Wasser.
Von Lina Rees