Klausuren oder Hausarbeiten ohne Namen abgeben, um Diskriminierung zu verhindern: In vielen Ländern ist das Uni-Alltag, in Deutschland dagegen kaum verbreitet. Sollten Prüfungsleistungen anonymisiert werden?
Hier sollte eigentliche in Contra stehen. Warum sich aber niemand
klar dagegen aussprechen wollte, und welche Gegenargumente es dennoch geben könnte, erklärt ruprecht-Redaktionsmitglied Larissa Hamann
Trotz mehrwöchiger Recherche und rund zwanzig Personen, die wir nach einem Contra gefragt haben, konnte oder wollte uns niemand eines liefern. Meistens, ohne einen Grund zu nennen. Es dürfte jedoch vorrangig daran liegen, dass die Anonymisierung von Prüfungsleistungen in Deutschland kaum verbreitet ist. In anderen Ländern wie beispielsweise England oder den USA sind anonymisierte Prüfungen bereits Gang und Gäbe. Dass dies in Deutschland weder Praxis noch häufig auf der politischen Agenda zu finden ist, zeigt jedoch, dass es durchaus Potenzial für eine kontroverse Diskussion gäbe. Inwiefern Namen auf die Benotung der Dozenten Auswirkung haben, ist zudem wissenschaftlich schwer nachzuvollziehen. Es gibt zwar eine Studie, die belegt, dass Frauen und Studierende mit ausländisch klingenden Namen im Jura-Examen schlechter abschließen, einen Kausalzusammenhang lehnen die Wissenschaftler jedoch ab. Wir stellen im Folgenden dar, welche Argumente trotz allem gegen Anonymisierung sprechen könnten.
These 1: Anonymisierung verhindert, dass Frauen und Menschen mit ausländischen Namen diskriminiert werden.
Anonymisierung löst nicht den Ursprung des Problems, sondern nur die Symptome. Grundsätzlich wollen vermutlich die Wenigsten Diskriminierung unterstützen, es ist jedoch die Frage, ob Anonymisierung das beste Mittel dagegen ist. Sie würde das Problem nur auf passive Art und Weise lösen. Denn korrigieren Dozenten anonymisiert, müssen sie sich nicht mehr aktiv mit ihren potentiellen Vorurteilen befassen. Langfristig wäre es besser, die Lehrenden zu sensibilisieren und zu schulen.
Grundlage für die Anonymisierung wäre, dass Frauen und Menschen mit ausländisch wirkenden Namen aufgrund dieser Charakteristika bei der Benotung von Prüfungsleistungen diskriminiert werden. Dass dies tatsächlich der Fall ist, ist nicht ausreichend wissenschaftlich belegt.
Selbst bei Anonymisierung könnten Dozenten immer noch beispielsweise anhand der Handschrift oder des Schreibstils diskriminieren.
These 2: Anonymisierung ist aufwändig und funktioniert für viele Prüfungsarten nicht.
Bei Hausarbeiten oder Klausuren wäre es vermutlich mit geringem Aufwand möglich, die Leistung ohne Namen, beispielsweise mit der Matrikelnummer, einzureichen.
Doch wie sieht es bei mündlichen Prüfungen aus? Es gibt viele Studiengänge, bei denen mündliche Leistungsnachweise einen ausschlaggebenden Anteil einnehmen, gar ein Teil der Abschlussprüfung sind. Ein Referat oder eine mündliche Prüfung so abzulegen, dass weder Geschlecht noch Hautfarbe oder andere visuelle Charakteristika erkennbar sind, ist einfach nicht möglich. Außerdem ist es insbesondere bei aufwändigeren Arbeiten wie Bachelor- oder Masterarbeiten, die häufig einen essentiellen Teil der Abschlussnote ausmachen, notwendig, persönlich mit dem Betreuer in engem Kontakt zu stehen. Das ist anonym nicht möglich.
These 3: Anonymisierung erschwert individuelles Feedback.
Individuelles Feedback ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist es sicher das direkteste Einfallstor für Vorurteile und Diskriminierung, andererseits ist es unabdingbar für individuellen Lernerfolg. Insbesondere bei schriftlichen Abgaben vereinbaren Studierende und Lehrende in einigen Fällen sowohl vor der Anfertigung als auch nach der Fertigstellung der Arbeit eine Sprechstunde. Muss die Anonymität gewahrt werden, ist dies nicht möglich. Wichtige Fragestellungen können so vorab nicht besprochen werden, was negative Auswirkungen auf die Note haben kann. Außerdem gibt es Fälle, bei denen es einen Unterschied in der Benotung macht, welches Individuum die Leistung erbringt. Werden beispielsweise Austauschstudierende oder Nicht-Muttersprachler, die für das Studium nach Deutschland gekommen sind, genauso wie Muttersprachler benotet, ist das nicht fair.
Von Larissa Hamann