In der Metalszene gibt es viele weibliche Fans, allerdings kaum Musikerinnen. Bands wie Beyond the Black sind eine Ausnahme.
[dropcap]M[/dropcap]etal gilt als extrem maskulines Musikgenre, als Spielplatz von Männern für Männer. Aggressive, laute Klänge und Schreigesang – das scheint nicht zu traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit zu passen. Doch wer sich heutzutage auf Metal-Konzerten und Festivals umschaut, wird feststellen, dass Frauen einen steigenden Anteil der Fans ausmachen. Auf dem Wacken Open Air, dem europäischen Szenetreffpunkt schlechthin, liegt der Frauenanteil nach Angaben der Veranstalter inzwischen bei einem Drittel.
Nur auf der Bühne, als Bandmitglieder, sind Frauen bis heute noch selten zu sehen. Im Vergleich zu den Achtzigern, als es eigentlich nur Doro Pesch als Sängerin von Warlock auf die großen Bühnen schaffte, ist die Zahl von bekannteren Bands mit Sängerinnen seit den Neunzigern zwar massiv gestiegen. Doch die ganz großen Namen sind nicht zahlreich. Nur wenige Bands wie Nightwish, Evanescence oder Within Temptation schafften den Sprung zum internationalen Top-Act auf Augenhöhe mit den rein männlichen Szenegrößen. Das Phänomen ist zudem bis auf wenige Ausnahmen wie Arch Enemy auf den Symphonic Metal beschränkt, der sich meist durch hohen, gar opernhaften Frauengesang auszeichnet. Auf anderen Positionen als dem Gesang sind Frauen noch wesentlich rarer.
Die Diskrepanz bestätigt auch Jennifer Haben, Sängerin der in Mannheim gegründeten Symphonic-Metal-Band Beyond the Black: „Ich könnte mir vorstellen, dass sich viele Mädels nicht so sehr in die Szene trauen. Ich kenne viele, die diese Musik hören, und es gibt auch viele Bands mit Frontfrauen, die aber leider oft eher unbekannt sind.“ Beyond the Black hingegen existieren zwar erst seit 2014, ihr Weg führt bisher aber über mehrere Wacken-Auftritte und zwei Top-Platzierungen in den Albumcharts hinweg steil nach oben. Selbstverständlich ist das für Haben nicht: „Bands mit Männern haben es wahrscheinlich einfacher, die Härte zu vermitteln, die viele im Metal erwarten. Bei Bands mit Sängerinnen ist das natürlich nicht ganz so ‚brutal‘, weshalb diese Musik von Frauen etwas gebrochen wird.“ Als vermeintlich „softe“ Band müsse man sich sowieso mehr behaupten.
Erschwerend hinzu kommt die Kategorie „Aussehen“. Zwar gelten Metal-Fans nicht zu Unrecht als musikalische Puristen, denen Qualität und Bodenständigkeit über alles geht und die zu großen Fokus auf Starrummel und Äußerlichkeiten mit Verachtung strafen. Davon sind Frauen nicht ausgenommen. Eine screamende und growlende Sängerin wie Alissa White-Gluz von Arch Enemy, eine der größten Bands aus dem extremeren Death Metal, erntet Anerkennung vor allem für ihre Stimmgewalt und ihren Bruch mit typischen Rollenbildern. Doch wer die Social-Media-Kommentare von Bands mit Frontfrauen durchforstet, erhält schnell den Eindruck, dass dort trotzdem mit zweierlei Maß gemessen wird. Selbst wenn Kommentare zum Aussehen positiv gemeint sein mögen, entlarven sie doch, was auch Jennifer Haben beobachtet: „Ich denke schon, dass Männer im Metal wahrscheinlich etwas mehr Freiheiten haben, was ihr Aussehen angeht.“
Trotz dieser Problematiken fühlt sich Haben aber in der Szene keineswegs schlecht aufgenommen, und der Erfolg von Beyond the Black spricht für sich. „An sich sind Metal-Künstler die liebsten Menschen der Welt“, erzählt die 22-Jährige. „Und auch die Fans habe ich immer als sehr nett und respektvoll erlebt, selbst auf der Metal Cruise, wo man auf einem Kreuzfahrtschiff sehr nah beieinander ist.“ Insgesamt ist die Metal-Szene, konträr zur Musik, als friedlich bekannt. Das gilt insbesondere für Festivals wie Wacken, die sich dabei deutlich von Veranstaltungen anderer Genres abheben. Ein „massive international tribe of misfits“, wie es die Bloggerin Beth Winegarner formuliert, nur vereint durch Unangepasstheit und Leidenschaft für die Musik – sollte man meinen. Dennoch tobt in den USA seit einigen Jahren eine scharfe Debatte über frauenverachtende Songtexte mancher Bands. Dagegen zeigen eine Reihe von Festivals in verschiedenen Ländern, auf denen explizit nur Metal-Bands mit Sängerinnen beziehungsweise weiblichen Mitgliedern auftreten, dass sich in der Szene etwas bewegt.
Von den Frontfrauen bekannter Bands geht dabei eine Vorbildwirkung aus. Auch Jennifer Haben berichtet von Sängerinnen, die sie als noch junge Künstlerin geprägt haben: „Da wäre zum einen Sharon den Adel von Within Temptation, sie mochte ich schon immer. Und dann Floor Jansen, die aktuelle Sängerin von Nightwish – sie ist das Nonplusultra, sie kann gesanglich einfach alles.“ Es bleibt zu hoffen, dass sich immer mehr Frauen im Metal von diesen Vorbildern inspirieren lassen und selbst die Bühnen der Szene betreten.
Von Simon Koenigsdorff