Der Animationsfilm „Loving Vincent“ besteht aus tausenden Ölgemälden und überzeugt mit viel Farbe und Strahlkraft.
Loving Vincent“ ist der erste vollständig aus Ölgemälden bestehende Animationsfilm in Spielfilmlänge. Die Werke Vincent van Goghs werden auf der Leinwand im Stil des Künstlers zum Leben erweckt und erforschen mit dem Zuschauer die seltsamen Umstände vom Tod des Künstlers.
In dem Film macht sich der junge Franzose Armaund Roulin ein Jahr nach dem plötzlichen Tod van Goghs auf den Weg, um einen Brief des Verstorbenen an seinen Bruder Theo zu überbringen. Zuerst sieht der junge Mann keinen wirklichen Sinn hinter seinem Auftrag und macht sich nur seinem Vater zuliebe, einem Postmann und Freund van Goghs, auf den Weg nach Paris und die Suche nach Theo. Doch schnell entwickelt sich der einfache Botengang zu einer Suche nach der Wahrheit, die Armaund schließlich in den kleinen französischen Ort Auvers-sur-Oise führt. Hier verbrachte van Gogh die letzten Wochen seines Lebens und hier starb er schließlich auch. Zugegeben – die Handlung ist nicht die raffinierteste aller Zeiten und der Film lebt auch nicht vom Tiefgang seiner Figuren. Wer hofft, neue und zuvor noch nie erzählte Details aus dem Leben van Goghs zu erfahren, wird enttäuscht. Dennoch berührt die Geschichte und überzeugt vor allem dadurch, dass bekannte Motive des Künstlers – Porträts wie Landschaften – geschickt in die Handlung eingewoben wurden. So freut es einen jeden van Gogh-Fan, wenn das ein oder andere Lieblingsbild plötzlich lebendig auf der Leinwand erscheint. „Loving Vincent“ überwältigt den Zuschauer durch seine unglaubliche Bildgewalt und seine ganz besondere Machart.
Über 120 Werke des niederländischen Künstlers wurden ganz oder in Ausschnitten in den rund 850 Motiven nachempfunden. Insgesamt wurden etwa 65 000 Bilder von über 120 Künstlern für die polnisch-britische Koproduktion gemalt. Dabei dominieren klare, kräftige Farben und dynamische Pinselstriche die Gegenwart des Films – ganz im Stil van Goghs eben. Rückblenden werden dagegen fotorealistisch in schwarz-weiß gestaltet. Ein geschickter Kniff, der es dem Zuschauer einfach macht, die verschiedenen Zeitebenen zu unterscheiden und der Handlung zu folgen.
Dass ein solcher Film nicht einfach mal so nebenbei gedreht wird, ist nicht schwer zu erraten. Vier Jahre dauerte es, bis Schauspieler wie Saoirse Ronan („Brooklyn“) und Douglas Booth („Die Säulen der Erde“) die Figuren vor Green-Screens zum Leben erweckten und die Künstler diese Bilder schließlich in Ölgemälde übersetzten. Alles unter der Regie von Dorota Kobiela und Oscarpreisträger Hugh Welchman, die anfangs nur einen Kurzfilm geplant hatten, dann aber das Potenzial erkannten und voll ausschöpften. Ein unglaublicher Aufwand, der sich gelohnt hat und den der Zuschauer sehen kann!
Der Film lebt neben seiner Farbenpracht auch von vielen liebevollen Details. Bleibt der Hintergrund in anderen Animationsfilmen oft starr, so ist er in „Loving Vincent“ immer in Bewegung und kommt nie zum Stillstand. Damit baut der Film eine schöne Brücke zum Leben und Schaffen des Künstlers, dessen Geschichte er erzählt. Van Gogh selbst setzte sich in seinem Leben und seiner kurzen Zeit als freischaffender Künstler selten zur Ruhe und schuf in nur zehn Jahren über 800 Gemälde und über 900 Zeichnungen. Sein Leben wurde aber auch von vielen Konflikten bewegt, die im Film ebenfalls thematisiert werden. So kämpfte der ungelernte Maler, der heute als einer der Begründer der modernen Malerei gilt, um Anerkennung und vermutlich auch mit starken psychischen Problemen. Abgerundet wird der Film von instrumentaler Musik des britischen Komponisten Clint Mansell, der bereits die Musik für Filme wie „Black Swan“ komponierte. „Loving Vincent“ ist damit ein Filmerlebnis, das den Zuschauer verzaubert und fasziniert und das beinahe genauso außergewöhnlich ist wie der Künstler, dem es gewidmet ist.
Von Sophie Müller