Klausuren oder Hausarbeiten ohne Namen abgeben, um Diskriminierung zu verhindern: In vielen Ländern ist das Uni-Alltag, in Deutschland dagegen kaum verbreitet. Sollten Prüfungsleistungen anonymisiert werden?
Auf jeden Fall. Insbesondere in den letzten Jahren thematisieren immer mehr Studien, dass die Bewertung von Leistungen verschiedener Menschen stark damit zusammenhängt, welchen gesellschaftlichen Gruppen diese angehören. So werden Menschen in der Regel schlechter bewertet, wenn sie Frauen sind, oder/und nicht dem deutschen Stereotyp entsprechen – sei es in Aussehen oder Namen. Ebenso trifft es auch Menschen mit Beeinträchtigung oder chronischer Erkrankung. Um dem endgültig entgegenzuwirken, müssen viele verschiedene Hürden für marginalisierte Gruppen abgebaut werden – eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den eigenen rassistischen und sexistischen Strukturen und Vorurteilen ist dafür dringend notwendig. Dennoch bedarf es ebenso konkreter Maßnahmen, die mit den aktuellen Problemen umgehen und diskriminierende Strukturen weniger wirksam machen. Dabei ist die Anonymisierung von Prüfungen ein erster, wichtiger Schritt, um die Diskriminierung an Hochschulen zu beenden.
These 1: Anonymisierung verhindert, dass Frauen und Menschen mit ausländischen Namen diskriminiert werden.
Definitiv. Geschlecht wie (vermeintliche) Herkunft der Geprüften sind einer der Hauptgründe, warum einige Geprüfte deutlich schlechter abschneiden, als ihre weißen, männlichen Kommilitonen es bei selber Leistung getan hätten. Durch eine Anonymisierung der Prüfungen könnte man dem vergleichsweise einfach entgegenwirken, weil die Betroffenen dadurch sofort und unabhängig vom guten Willen des*der Prüfer*in vor diskriminierenden Strukturen und Denkmustern geschützt werden. Das heißt nicht, dass sich nicht mehr mit den vorhandenen Vorurteilen auseinandergesetzt werden muss – ganz im Gegenteil. Sich bei der Bekämpfung struktureller und institutionalisierter Diskriminierungen jedoch auf diese Sensibilisierung und Selbstreflektion der Prüfer*innen zu verlassen wäre fatal, da diskriminierende Strukturen meistens unbewusst wirken.
These 2: Anonymisierung ist aufwändig und funktioniert für viele Prüfungsarten nicht.
Nein. Insbesondere bei schriftlichen Prüfungen stellt die Anonymisierung kein Problem dar, beispielsweise über ein Verfahren mit Kennnummern. Hier könnte man durch wechselnde Kennnummer auch sehr einfach sicherstellen, dass die Anonymität der Geprüften über das gesamte Studium gewahrt bleibt. Bei mündlichen Prüfungen ist es selbstverständlich schwieriger. Doch gerade die Ergebnisse mündlicher Prüfungen sind massiv von dem Geschlecht und der (vermeintlichen) Herkunft der Geprüften abhängig, und machen eine Anonymisierung notwendig – zum Beispiel zunächst durch eine räumliche Trennung der Prüfer*innen und Geprüften. Gleichzeitig sollte man mündliche Prüfungen auch für Menschen mit Schwierigkeiten beim Sprechen, wie Stottern oder Lispeln, inklusiver gestalten und garantieren, dass aus diesen keine schlechtere Bewertung der Leistungen erfolgen wird.
These 3: Anonymisierung erschwert individuelles Feedback.
Nein. Der*die Prüfer*in kann weiterhin schriftlich Feedback zu Prüfungsleistungen geben. Denkbar wäre, dass die Ergebnisse mit dem personalisierten Feedback online über die Kennnummern abrufbar sind. Die Anonymität bleibt gewahrt, und bei Fragen zum Feedback können Student*innen weiterhin eine Klausureinsicht oder ein Einzelgespräch mit dem*der Prüfer*in vereinbaren. Dagegen ist insofern nichts einzuwenden, als dass die Anonymisierung die faire Bewertung der Leistung der Geprüften sicherstellen soll.
Tatsächlich erleichtert eine Anonymisierung das individuelle Feedback, da es eine Rückmeldung zur erbrachten Leistung sein soll, unabhängig von den Erwartungen der Prüfer*innen an die Geprüften, und unabhängig von Annahmen, die Prüfer*innen aufgrund des Geschlechts oder der Herkunft der Geprüften treffen.
Von Eva Gruse