Das Nationaltheater Mannheim bringt im zweiten Jahr seines Monteverdi-Zyklus die „Krönung der Poppea“ auf die Bühne. Ein brillantes Orchester und ein großartiges Sängerensemble machen den Abend zu einem seltenen Vergnügen. Da wird selbst die mäßige Inszenierung zur Nebensache.
[dropcap]D[/dropcap]er Vorhang hebt sich. Die Bühne ist unter Wasser gesetzt, darüber wabern Nebelschwaden. In dem Wasser stehen, wild verstreut, schiefe Podeste, liegen Kleider, Fetzen, die Hinterlassenschaften der letzten Orgie. Vor der dystopischen Szene hebt sich scharf die Silhouette eines einzelnen Musikers und seiner Basslaute, der Theorbe, ab. Karg und finster spielt er erst einen einzelnen Ton, lässt ihn verklingen, setzt dann ein Ornament auf selber Höhe. Da erhebt sich Ottavia aus seinem Schatten, setzt an und ihre „Addio Roma“ erfüllt den Raum. Die starken Bilder von Regisseur Lorenzo Fiorini sprechen in diesem Moment im Gleichklang mit Monteverdis Musik – leider passiert das an diesem Abend viel zu selten.
Dabei scheint die Geschichte von „L’incoronazione di Poppea“ zunächst einmal nach einer Inszenierung voll Bombast zu schreien, geht es doch mit Nerone, dem fünften Kaiser Roms, um den Klischee-Irren schlechthin. Der allerdings hat die Schnauze gestrichen voll. Die Frau (Ottavia) nervt, der Verlobte seiner Geliebten Poppea, Ottone, will den Platz nicht räumen. Und dann kommt auch noch Seneca und versauert Stunden trauter Zweisamkeit mit öden Moralbelehrungen über „gute Herrschaft“ und „Kaiserpflichten“. Nicht mit mir, denkt sich der selbstbewusste Jungkaiser. Gut drei Stunden und eine ordentliche Menge Kunstblut später sind denn auch Seneca tot und die restlichen Störenfriede in der Verbannung. Die Tyrannis Neros und das intrigante Spiel des Hofes haben gesiegt.
Es sind diese ganz großen Linien, an denen sich auch die Inszenierung abarbeitet. Dabei merkt man Fiorini, der sonst vor allem die Opernschwergewichte des 18. und 19. Jahrhunderts bearbeitet, seine inhaltlichen Schwerpunkte an. Hier geht es nicht um feingliedriges Personenspiel, wie es Monteverdis gefeierte „Rückkehr des Odysseus“ im letzten Jahr mit ihrer aufs Äußerste kargen Präsentation vormachte. Fiorini schöpft aus dem Vollen. Das Bühnenbild (Paul Zoller) ist bombastisch, überall funkelt und blitzt es, Bühne schiebt sich in Bühne und wird im nächsten Moment schon wieder zerfetzt. Die Hauptcharaktere sind Zombies in zerrissener Hofkleidung und lädierten Perücken (Kostüme: Sabine Blickenstorfer). Immer wieder verweist Fiorini dabei auf den dekonstruierenden, sezierenden Blick Monteverdis – und offenbart gerade in diesem Moment die Schwäche seiner Inszenierung. Denn so scharf und pointiert einzelne Bilder sind: Ein kongruentes Ganzes wird daraus nicht. Zu viel wird angerissen, zu wenig zu Ende geführt. Die Feinheiten, Vieldeutigkeiten von Libretto und Musik verschwinden unter dem breiten Pathos-Pinsel, mit der Fiorini das so offensichtliche wie spannungsarme Übernarrativ spätrömischer Dekadenz vorantreibt.
So weit, so schade. Denn die Musik an diesem Abend ist schlichtweg großartig: Subtil, fein und voll Witz entfaltet Monteverdis Musik eine Klanglandschaft, in der jedes Gefühl, jede Regung seiner Protagonisten im Gesang angelegt ist. Das ist nicht nur dem alten Meister selbst zu verdanken, denn „seine“ Tempi, die Dynamik, ja sogar die ursprüngliche Instrumentierung ist heute gar nicht mehr bekannt. Das Team rund um den musikalischen Leiter Jörg Habulek musste sie aus dem überlieferten Material, meist lediglich die Gesangs- und eine skizzierte Begleitstimme, rekonstruieren – mit Erfolg. Die Charaktere bekommen in der Instrumentierung von Alexander Gergelyfi so ihre ganz eigenen musikalischen Charakter: Den jugendlichen Amor begleitet die Harfe, den altklugen Seneca der schnarrende Orgelton des Regals. Und wenn es festlich wird, steigen die Posaunen ein.
Ein Höhepunkt dieses Abends sind die Singenden. Ein Glücksgriff etwa Nikola Hillebrand als Poppea und Nebenbuhlerin Marie-Belle Sandis als Ottavia. Hillebrand überzeugt mit einem hell strahlendem Sopranklang, umgarnt das Ohr der Zuschauer mit kraftvollen, mühelos klaren Linien. In wunderbarem Kontrast steht da der samtig-dunkle Mezzosopran Sandis. Den kühlen Hass der ausgebooteten Königin bringt sie mit einem runden, obertonreichen Zug zu Gehör. Auch wenn Magnus Staveland in seiner anspruchsvollen Nerone-Partie nicht ganz mit dem Volumen seiner Poppea mithalten kann, präsentiert er einen tonschönen, teils lyrischen Tenor. Erstaunlich zuletzt Amor Fridolin Bosse (Geburtsjahr 2005!). Mit beeindruckender Bühnenpräsenz und einem Volumen, das manch älterem Semester auf der Bühne in nichts nachsteht, ersingt er sich einen ganz besonders kräftigen Schlussapplaus. Das Stuttgarter Barockorchester „il Gusto Barocco“ unter Leitung Habuleks zeigte sich an diesem Abend schließlich in ganz großer Form. Präzise untermalen sie das Geschehen auf der Bühne, finden stets den richtigen Grad zwischen Begleitung und eigener Akzentsetzung. Habulek entlockt der Musik dabei immer wieder neue, berückende Nuancen. Das „Pur ti miro“ perlt in intimer Wärme, Josquin Desprez‘ Spottlied „Scaramella“ tanzt wild, braust, jubelt – großartig.
Die neue Monteverdi-Produktion des Nationaltheaters Mannheim bietet eine musikalische Qualität, die ihresgleichen sucht. Mit über drei Stunden ist diese Krönung der Poppea nicht gerade ein Leichtgewicht – am Ende wünscht man sich trotzdem, die Musik nähme kein Ende. Da stört selbst die maue Inszenierung nur wenig. Die unter Wasser gesetzte Bühne sollte aber noch einmal dringend überdacht werden. Denn da mag das erste Bild noch so gelungen sein. Am Ende ist die Kombination aus Wasser und vielen Menschen im Zusammenspiel mit leisen Barockinstrumenten doch vor allem eins: Zu laut.
Von Jakob Bauer