Beim Heidelberger Stückemarkt werden vom 20. bis 29. Mai deutsche und südkoreanische Arbeiten präsentiert. Eine Behandlung aktueller Problematiken geschieht in „Homohalal“ und „Kluge Gefühle“, die persönliche Auseinandersetzung mit den Rissen in unserer Gesellschaft wird zum Fokus der Inszenienierung.
[dropcap]I[/dropcap]ch denke es hat etwas mit der Vergangenheit zu tun, und die ist doch vergangen, also lassen wir sie hinter uns und rennen nach vorne.“ Das mit dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts 2017 ausgezeichnete Werk „Kluge Gefühle“ von Maryam Zaree, handelt von Tara, einer Anwältin für Asylrecht, die in intelligenten Dialogen mit ihrem Psychologen und anderen beteuert, ihr Leben unter Kontrolle zu haben. Bis sie plötzlich erfährt, im Teheraner Evin-Gefängnis auf die Welt gekommen zu sein, während die Mutter gefoltert wurde. Mit diesem neuen Wissen muss Tara sich plötzlich auseinandersetzen und ihr bisheriges Leben hinterfragen. Das Erlebte hat die Mutter nachhaltig geprägt und ihr Trauma wirkt nun auf Tara fort, obwohl ein vergangenes Geschehen durch die zeitliche Distanz als abgeschlossen gelten sollte. Die 34-Jährige Maryam Zaree ist Schauspielerin und hat mit „Kluge Gefühle“ ihr erstes Theaterstück umgesetzt. Die Umstände rund um Taras Geburt in solch gewalttätigen Verhältnissen sind nicht einfach der Feder von Maryam Zaree entsprungen, sondern Ausschnitte ihrer persönlichen Lebensgeschichte. Das minimalistische Bühnenbild – ein blauer Würfel aus einzelnen Klötzen und Bausteinen, die die Charaktere im Verlauf der Aufführung verstellen, verschieben und lautstark umschmeißen – lenkt die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf die durchdachten Konfrontationen, die Mono- und Dialoge, welche das Stück geschickt in seiner Handlung vorantreiben. „Kluge Gefühle“ wird noch über das Theaterfestival hinaus in Heidelberg zu sehen sein und empfiehlt sich damit auch für diejenigen, die zum Stückemarkt keine Zeit oder Eintrittskarten mehr finden.
Ein weiterer Höhepunkt der frühen Stückemarktwoche ist „Homohalal“ von Ibrahim Amir. Eine Gruppe von Individualisten – ehemalige Dresdner Aktivisten und Asylbewerber– finden nach langer Zeit anlässlich einer Trauerfeier in ihre alte Freundesgruppe zurück und begegnen kulturellen und zwischenmenschlichen Konflikten, brechen mit sämtlichen Klischees und begründen schließlich eine erneuerte, grenzüberschreitende Zusammengehörigkeit. „Homohalal“ beginnt mit einem modernen Stummfilm, der die Vergangenheit (das Stück spielt im Jahr 2038) der Aktivisten aus 2018 zeigt. Eine Hochzeit, Blockadeaktionen und Streifzüge durch die Nacht flimmern in schwarzweiß über die Leinwand. Dann stört sich auf der Bühne ein früherer Asylbewerber aus dem Irak an der Homosexualität seines Sohnes. Ibrahim Amir nahm die Geschehnisse in der Wiener Votivkirche von 2012 zum Anlass für sein Theaterstück: um auf ihre prekäre Lebenssituation in Österreich aufmerksam zu machen, besetzten Asylsuchende die Kirche und sahen sich damit schnell einer aufgeheizten Debatte zwischen Befürwortern und Kritikern konfrontiert. In zahlreichen Gesprächen mit den Beteiligten begann Amir die Spannungen aufzuarbeiten und zu einer bösen Komödie zusammenzutragen. Für Wien abgesagt, musste das Stück schließlich für die Stadt Dresden umgeschrieben werden. Das Stück ist von Klischeebrüchen gekennzeichnet, denn Ibrahim Amir wollte nicht einfach die Geschichte eines Flüchtlings erzählen. Spannender sind vielmehr die Entwicklungen die der Einzelne und die ehemalige Gruppe innerhalb von 20 Jahren in Deutschland durchlebt haben. Positiver Rassismus, die „Identitäre Bewegung“ und Homophobie machen sich auf einmal unter den ursprünglich so weltoffenen, freiheitsliebenden und toleranten Aktivisten und ihren Kindern breit. Dabei fällt so manches harte Wort, doch die Atmosphäre im Marguerre-Saal bleibt durch die vielen humorvollen Dialoge und Witze heiter. Als Zuschauer stellt sich nur irgendwann die Frage, ob hier eigentlich mit oder über die Figuren gelacht wird. Bereits ihre in bonbonfarben gehaltenen Kostüme und blonden Perücken laden zum mokieren ein. Aber verschont bleibt niemand, sowohl Europäer als auch die nach Europa Kommenden sind Angriffsfläche in „Homohalal“. Ibrahim Amir trifft einen neuen Ton in der sogenannten Flüchtlingsdebatte und ermöglicht es jedem einzelnen, sich seiner menschlichen Schwächen bewusst zu werden. Der Zuschauer hat am Ende der Vorstellung Anlass zur Selbstreflektion und macht sich Gedanken über seine Vorstellung einer Utopie. In dem Stück ist Dresden im Jahr 2038 ein Vorzeigebeispiel für Toleranz und kulturellen Frieden in der Gesellschaft. Ob und wie sich diese Hypothese erfüllt, bleibt nicht einfach abzuwarten. Denn eine gemeinsame Essenz der von „Homohalal“ und „Kluge Gefühle“ ist mit Sicherheit, das wir die Zukunft in die Hand nehmen und formen können. Nur im gemeinsamen Dialog und unter Berücksichtigung der Erfahrungen unserer Eltern lassen sich die Probleme in unserer Gesellschaft angehen.
Von Bérénice Burdack