Ein Heidelberger Arzt und seine Patienten wehren sich gegen das Psychiatriesystem und gründen ein sozialistisches Kollektiv. Der Film „SPK Komplex“ erzählt ihre explosive Geschichte
Im Heidelberger Karlstorkino ist es stockduster. Die Vorhänge öffnen sich. Es erscheint ein schnörkelloser, weißer Schriftzug auf dem schwarzen Leinwandgrund: „Das System hat uns krankgemacht. Geben wir dem kranken System den Todesstoß.“ Es ist die erste Einstellung von Gerd Kroskes neuem Dokumentarfilm „Der Sozialistische Patientenkollektiv Komplex“ (SPK). Mit dem SPK porträtiert Kroske eine Bewegung, die der Arzt Wolfgang Huber mit 52 Patienten der Psychiatrischen Poliklinik Heidelberg 1970 gegründet hat. Die SPK-Mitglieder stellten sich gegen die in dieser Zeit vorherrschende „Verwahrpsychatrie“, welche die Wurzeln der Erkrankung in den Patienten suchte. Das SPK machte die kapitalistische Gesellschaft für ihr Leiden verantwortlich. Gegen das „kranke System“ wollte das SPK „die Krankheit zur Waffe machen“.
Das Fundament von Kroskes Film ist eine akribische Recherche. Der Regisseur erhebt den Purismus zur künstlerischen Selbstverpflichtung: Sein Film verzichtet auf einen erklärenden Off-Kommentar, Zeitzeugen wie die ehemaligen SPK-Mitglieder Hans Bachus und Carmen Roll werden nicht vorgestellt. Der Regisseur reiht zeitgenössische Interviewaussagen an historische O-Töne, die aus Reden, vorgelesenen Flugblättern und Archivdokumenten bestehen und ordnet ihnen historische oder aktuelle Bilder zu.
Seine Geschichte erzählt Kroske chronologisch. Sie beginnt mit der Besetzung eines Hauses in der Rohrbacher Straße (Nr. 12), in dem das Kollektiv sich selbst therapierte. Das SPK wuchs dort in kurzer Zeit angeblich auf bis zu 500 Mitglieder. Hubers Arztkollegen versuchten, ihn zu diskreditieren. Auch die Behörden prüften Möglichkeiten, dem SPK-Arzt die Approbation zu entziehen – ohne Erfolg.
Dennoch bestand das Kollektiv nur 18 Monate. Als unbekannte Täter am frühen Morgen des 24. Juni 1971 in der Nähe von Heidelberg einen Polizisten beschossen, verdächtigte das Bundeskriminalamt Huber, den Flüchtigen Unterschlupf zu gewähren. Die Polizei führte daraufhin eine Razzia in der Rohrbacher Straße durch und verhaftete insgesamt acht Personen. Die Polizei vermutete eine Verbindung des SPK mit der „Bader-Meinhof-Gruppe“. Huber und fünf Andere entließ die Polizei nach einem Verhör.
Zu einer zweiten Razzia kam es nur vier Wochen später, als der im Film interviewte „Verräter“ Hans Bachus bei der Polizei gegen einige SPK-Mitglieder aussagte. Mehr als 300 Polizisten stürmten das SPK-Gebäude. Sie stellten Waffen mit Munition, Sprengstoff und Instrumente zum Fälschen von Ausweisen sicher. Im sogenannten „SPK-Prozess“ kam es zu mehreren Verurteilungen wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. Huber verlor seine Approbation als Arzt. Mit seiner Frau musste er für viereinhalb Jahre ins Gefängnis. 1976 verließen sie die das Gebiet der Bundesrepublik, ihr heutiger Aufenthaltsort ist unbekannt. In Kroskes Film kommt Huber nur im historischen Originalton zu Wort. Einige SPK-Mitglieder wie Carmen Roll tauchten unter und schlossen sich der RAF an.
Der Regisseur inszeniert das SPK zwar als Bindeglied zwischen „1968“ und dem „Deutschen Herbst“. Kroske betont aber auch die Errungenschaften des SPK. Es habe mitgeholfen, dass in der heutigen Psychiatrie auch äußere Einflüsse bei einem Krankheitsbild berücksichtigt werden. Kroske gelingt so ein origineller Film zu einem Thema, über das auch im Jubiläumsjahr von „1968“ bemerkenswert wenig zu lesen war. Popcorn-Kino ist das zwar nicht, er lohnt sich aber allemal.
Von Tim Schinschick
Ein Film ohne SPK, ein Film gegen das SPK
Popcorn-Kino sei das zwar nicht, es lohne sich aber allemal, meint der Autor. Na ja, nicht jede(r) lässt sich gern verarschen. Mag sein, dass Gerd Kroske alles Mögliche recherchiert hat. Mit dem SPK allerdings hat der Film nun wirklich nichts zu tun. Man erfährt weder etwas über die Geschichte des SPK noch über seine heutige Arbeit. Der Zuschauer erfährt auch nicht, warum die Heutigen die Krankheitskraft, die SPK-Lebenskraft viel nötiger haben als alle Gleichaltrigen damals im SPK, aber nicht mehr nur zum revolutionären Verändern, sondern zum existentiellen Fortbestehen in der kapitalistischen Trümmerlandschaft. Von der durchgängigen Therapiefeindschaft des SPK auch kein Wort, und auch das wäre – im Hinblick auf die heutige durch und durch verarztelte und therapeutisierte Unterdrückung – von brennendem allgemeinen Interesse und eigentlich unabdingbar für einen Film über das SPK gewesen.
Was SPK/Patientenfront selber zu dem Film sagen, steht hier:
http://www.spkpfh.de/Achtung_Gattungsgifter_am_Werk.htm