Viele Privatdozenten lehren unter prekären Beschäftigungsbedingungen. Auch in Heidelberg ist dieser Zustand selbstverständlich geworden.
Hungerlöhne und trotz hoher Arbeitszeit oder mehrerer Jobs ein Leben am Existenzminimum: All dies klingt zunächst nach Phänomenen aus dem klassischen Niedriglohnsektor. Tatsächlich ist es jedoch auch für eine wachsende Zahl von Lehrbeauftragten in Deutschland Alltag.
Denn mehr als 5000 Privatdozenten lehren unter prekären Bedingungen an deutschen Hochschulen. Die habilitierten Wissenschaftler haben eine Lehrberechtigung, aber keine Professur inne. Obwohl sie wie auch andere Lehrbeauftragte entscheidend zur Gewährleistung eines regelmäßigen und vielfältigen Kursangebotes beitragen, werden sie für ihre Arbeit oft wenig oder gar nicht vergütet. Immer wieder werden dabei kritische Stimmen über ihre Arbeitsverhältnisse laut. Trotzdem hat sich das Ausbeutungssystem in den letzten Jahren durch das ausgehöhlte Budget der Hochschulen sowie steigende Studierendenzahlen noch intensiviert.
In vielen deutschen Unistädten gründeten sich daher Initiativen, die sich für den akademischen Mittelbau, darunter auch die Privatdozenten, einsetzen. Aufmerksamkeit erlangte das Thema zuletzt vor allem, weil Günter Fröhlich, Privatdozent der Philosophie aus Regensburg, 2014 vor dem Bayerischen Verfassungsgericht gegen die Praxis der unvergüteten Titellehre klagte. Diese verpflichtet Privatdozenten und außerplanmäßige Professoren, ein Mindestmaß an Lehrveranstaltungen anzubieten, um ihre Lehrberechtigung nicht zu verlieren. Diese Verpflichtung zur Lehre stellt auch die Grundordnung der Universität Heidelberg (§26) deutlich heraus: Wer zwei Jahre lang nicht lehrt, kann seine Lehrbefugnis und damit den Titel aberkannt bekommen. Wie Fröhlich betont, ist diese Titellehre „eine der Voraussetzungen, um sich erfolgreich auf eine Professur bewerben zu können“. Rechtlich wird sie jedoch nicht als berufliche Tätigkeit, „ja nicht einmal als Arbeit“ gewertet. „Das klingt absurd, aber so ist es!“
„Privatdozent/in ist kein Beruf, sondern ein Ehrengrad, für den sich sein Inhaber/in zunächst einmal nichts kaufen kann“, meint auch Cendrese Sadiku von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg. Mit ihrer Arbeit können Privatdozenten ihren Lebensunterhalt oft nur schwer sichern, viele sind auf Transferzahlungen vom Jobcenter oder Angehörigen angewiesen. Die bisherige Nicht-Vergütung seiner Arbeit hat auch für Fröhlich Folgen. Der Philosoph bessert seinen Universitätssold mit einem Nebenjob in einem Café auf: „Sonst könnte ich meine Miete nicht bezahlen oder mir etwas zu essen kaufen!“ Laut Fröhlich bedeutet bereits eine einzige Semesterwochenstunde durch Vor- und Nachbereitung mindestens 50 Stunden tatsächlich geleisteter Arbeitszeit, wobei Vorlesungen noch einmal deutlich aufwändiger seien. Zusätzlich zum geringen Entgelt für ihre Arbeit könnten Privatdozenten durch ihre spezifische Rechtsstellung auch nicht auf Arbeitnehmerschutzrechte zugreifen, erklärt Sadiku. „Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin zahlt für sie weder in die Kranken- und Pflegeversicherung noch in die Renten- und Arbeitslosenversicherung ein.“ Auch von der akademischen Selbstverwaltung und Mitbestimmung sind sie weitestgehend ausgeschlossen, ebenso von der Gremienvertretung.
Verallgemeinern lässt sich die Stellung der Privatdozenten allerdings nicht: Ihre Lage gestaltet sich unterschiedlich und kann sowohl recht gut als auch sehr schlecht sein. Das hängt vor allem davon ab, ob der Betreffende gar nicht angestellt ist, einen Lehrauftrag hat, wissenschaftlicher Mitarbeiter ist oder gar eine akademische Ratsstelle innehat. Andreas Wagner, Privatdozent am Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Uni Heidelberg, hat eine permanente Stelle und ist mit seiner Beschäftigungssituation zufrieden. Einem Nebenerwerb muss er nicht nachgehen. Doch auch er sieht, dass die Arbeit vieler Kollegen in der Lehre als „selbstverständlich angenommen“ wird. Vor allem für jüngere Kollegen mit Zeitverträgen wünscht er sich daher mehr Planungssicherheit – die durch die aktuelle Finanz- und Stellenlage seiner Meinung nach jedoch schwer zu realisieren sei.
Wagner repräsentiert eine Gruppe von Privatdozenten, die eher bessergestellt sind. Das ist vorwiegend in den Fachbereichen Medizin, Jura und dem Ingenieurwesen der Fall. „In der Tendenz dürfte die Situation der Privatdozenten jedoch eher schlecht sein“, fasst Sabine Mischner von der Mittelbauinitiative Heidelberg zusammen. Und auch nach Fröhlich handle es sich insgesamt um eine „unerträgliche Situation“ für die Betroffenen.
Das unsichere Beschäftigungsverhältnis von Privatdozenten – abhängig von der jeweiligen Beschäftigungssituation, den beruflichen Zukunftsaussichten und der privaten Situation – wirke sich auf den wissenschaftlichen Betrieb aus: „Die Kontinuität und damit die Qualität von Forschung und Lehre sind substanziell gefährdet“, so Sadiku. Dies ist gerade deswegen so absurd, da Privatdozenten mit ihren Habilitationen einen wesentlichen Beitrag zur Forschung an den jeweiligen Hochschule beitragen – und dies nicht erst in den letzten Jahren. Ohne sie wäre die Weltgeltung deutscher Universitäten nicht möglich gewesen. Umso erstaunlicher ist es, dass sich seit dem 19. Jahrhundert nichts an ihrer Situation geändert hat.
„Dass geleistete Arbeit angemessen vergütet werden muss, versteht sich eigentlich von selbst“, unterstreicht Mischner. Da Privatdozenten maßgeblich für Vielfalt und Qualität von Lehrangebot und Prüfungstätigkeit seien, müsse ihre Tätigkeit „endlich nicht nur in Worten anerkannt werden“, betont auch Fröhlich. Seine Klage vor dem Bayerischen Landesgerichtshof war 2017 zwar abgelehnt worden, „inhaltlich hat mir das Gericht allerdings in allen Punkten Recht gegeben“. Die Titellehre müsse demnach als Lehrauftrag bezahlt werden, wenn die entsprechende Lehrveranstaltung im Curriculum verankert sei und Prüfungen abgenommen würden. Um dies durchzusetzen, muss jedoch vom Einzelnen jeweils selbst ein Antrag bei der Universität gestellt und bei ablehnendem Bescheid Klage bei einem Verwaltungsgericht eingereicht werden. Die Chancen, eine Lehrauftragsvergütung zu bekommen, stünden zwar nicht schlecht., „an der grundsätzlichen Situation wird sich aber nichts ändern, bis eine kritische Masse von Betroffenen diesen Weg beschritten hat“, so Fröhlich.
Konkrete Änderungen von Seiten der Uni sowie der Landesregierung sind nicht bekannt. Für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen braucht es laut Sadiku in Zukunft zunächst „mehr Dauerstellen an den Hochschulen und eine bessere Grundfinanzierung“. Fröhlich betont darüber hinaus die Bedeutung einer weitergehenden „Information der Öffentlichkeit und Organisation der Betroffenen“. Eine Einschätzung der Situation von Seiten der Uni Heidelberg oder aktuelle Zahlen lagen dem ruprecht bis zum Redaktionsschluss leider nicht vor.
Wie lange der Missstand in Deutschland noch fortdauernd wird, bleibt abzuwarten. Immer mehr Betroffene machen jedoch auf ihre Lage aufmerksam, die nicht nur Mischner als „unwürdig“ für hochqualifizierte akademische Kräfte empfindet.
[box type=“shadow“ ]Status von Privatdozenten
Privatdozenten gehören zum akademischen Mittelbau deutscher Hochschulen. Die habilitierten Wissenschaftler mit einer Lehrberechtigung haben dabei keine Professur inne. Sie können zu Außerplanmäßigen Professoren ernannt werden. Aus ihrer Stellung leitet sich für die Privatdozenten nicht zwangsläufig ein Dienstverhältnis ab. Dennoch sind sie nach dem Landeshochschulgesetz (LHG §39) dazu verpflichtet, mindestens zwei Semesterwochenstunden abzuhalten, um ihre Lehrberechtigung zu behalten. Mit ihrem Titel haben sie das Recht, Vorlesungen und andere Lehrveranstaltungen anzubieten, Prüfungen abzunehmen sowie Promotionen und Habilitationen zu betreuen. Da die Tätigkeit rechtlich nicht als Arbeit gewertet wird, muss sie auch nicht als solche vergütet werden. [/box]
Von Lea Dortschy und Marie-Thérèse Roux
Da fehlt mir eine Antwort auf die Frage: Warum ist das denn so? Das Problem mit den Privatdozenten ist in meinen Augen ein anderes. Eigentlich waren sie mal als Ergänzung des Uni-Angebots gedacht. Es waren im echten Sinne „Privatgelehrte“, die quasi von außen kamen und einen kleinen Baustein zum Mosaik der Lehre und Forschung beitragen. Eben so klein, dass es keine Stelle bedarf.
Dann aber, als die Universitäten sparen mussten, wurde dieses Konstrukt auch missbraucht, um die Lehre günstiger zu gestalten. Sprich: Warum eine feste Stelle schaffen, wenn man stattdessen das Feld von ein paar schlecht oder unbezahlten Privatdozenten beackern lässt. Das wäre die böse Variante.
Die andere Variante wäre: Fachbereiche haben zu wenig Geld, um bestimmte Inhalte anzubieten. Da wurde der Privatdozent zum Notbehelf. Fest einstellen geht nicht, volles Gehalt auch nicht. Daher Privatdozent, weil man sonst gar nichts machen kann. Eben die einzige Möglichkeit guten Leuten, wenigstens etwas zu bieten, da man ihnen aus Geldmangel normalerweise gar keine Stelle geben könnte.
Daneben gibt auch die Dozenten aus Imagegründen. Also Promis aus Wirtschaft, Politik, Kultur, die in 2 SWS Anekdoten aus ihrem erfolgreichen Leben erzählen und sich dafür „Priv.-Doz.“ oder „Prof.“ aufs Visitienkärtchen schreiben können.