Verhütungsapps wie Natural Cycles werben mit hoher Sicherheit und wissenschaftlicher Genauigkeit. Ein zweiter Blick offenbart Probleme bei Zuverlässigkeit und Datenschutz
[dropcap]S[/dropcap]icher verhüten ganz ohne Hormone? Was der Wunsch vieler junger Frauen ist, versprechen Verhütungsapps wie Natural Cycles in Werbespots mit bunten Farben und gut gelaunten jungen Frauen. Die digitalen Helfer auf dem Smartphone sollen dabei mindestens so sicher sein wie die Pille. Doch laut Experten ist Vorsicht geboten.
„Apps wie Natural Cycles machen Vorhersagen für das fruchtbare Fenster aufgrund von Daten aus alten Zyklen“, erklärt Petra Frank-Hermann, Gynäkologin an der Uni-Frauenklinik in Heidelberg. Das sei nicht zuverlässig. Denn die Zykluslänge und damit der Zeitpunkt des Eisprungs kann schwanken. „Wir wissen, dass über fünfzig Prozent der Frauen um eine Woche oder mehr in ihrer Zykluslänge schwanken“, erläutert die Ärztin. Eine genaue Vorhersage des Eisprungs ist aber entscheidend, wenn junge Frauen die Apps zur Verhütung verwenden wollen. Oft errechnet Natural Cycles die fruchtbaren Tage jedoch nicht aus den Daten der eigenen Zyklen. Denn kaum hat man sich die App heruntergeladen, soll man seine Zykluslänge eingeben. Eine Frage, die viele Anwenderinnen überfordern dürfte. Nichtsdestotrotz zeigt einem die App schon im ersten Monat „grüne Tage“ an. Auf der Website des Unternehmens heißt es dazu: „Du kannst zu diesem Zeitpunkt nicht schwanger werden, denn du bist nicht fruchtbar.“ Wer sich darauf verlässt und an solchen Tagen das Kondom weglässt, kann mit unangenehmen Überraschungen rechnen.
Denn der Algorithmus von Natural Cycles bestimme den Zeitpunkt des Eisprungs erst sehr spät im Zyklus und rechne diesen Zeitpunkt auf den nächsten Zyklus hoch, so Frank-Hermann. So wundert frau sich bei der ersten Anwendung, als die App nach mehreren Wochen stolz mitteilt, sie habe nun den ersten Eisprung errechnet. Dies geschieht mit Hilfe der Auswertung der Temperatur.
„Das Messen und Dokumentieren der Temperatur hat einen Vorteil gegenüber bloßen Kalendern, aber nicht in den vorhandenen Apps“, erläutert Frank-Hermann. So sei die Beobachtung von Körpersymp-tomen wie der morgendlichen Temperatur und der Beschaffenheit des Zervixschleims, also des Schleims, der den Muttermund zur Gebärmutter hin verschließt, eine Möglichkeit, den Zeitpunkt des Eisprungs während des Zyklus zu bestimmen. So gibt es auch Apps wie Lady Cycle oder MyNFP, deren Algorithmus auf dieser sogenannten symptothermalen Methode aufbaut. „Die Frau muss dabei allerdings die Selbstbeobachtung lernen und die App muss eine gute Einführung geben und einen Anschluss an qualifizierte Berater haben“, so Frank-Hermann. Besonders eine gute Anleitung beim Umgang mit sogenannten Störfaktoren der Temperatur sei wichtig.
Denn Temperaturmessen will gelernt sein. So muss frau diese morgens immer zur gleichen Zeit zwischen 6 und 8 Uhr messen. Die Temperatur kann dabei durch eine ganze Reihe von Faktoren erhöht werden, beispielsweise wenn man später ins Bett geht, Alkohol trinkt oder unter Stress leidet. Welche Störfaktoren die eigene Temperatur beeinflussen, ist dabei sehr individuell und muss von den Frauen beobachtet werden. „Anwenderinnen, die die symptothermale Methode schon länger für sich mit Papier und Bleistift durchführen, können bestimmte Apps als Aufzeichnungshilfe verwenden“, meint Frank-Hermann. „Wir können sie aber Frauen nicht empfehlen, die keine Ahnung von der Methode haben.“
Entscheidend für die Bewertung der Apps seien immer deren Algorithmus und die Methode, die ihnen zu Grunde liegt. „Man kann als App keine höhere Sicherheit bieten als die zu Grunde liegende Methode“, macht Frank-Hermann klar. Gerade dabei weise besonders Natural Cycles große Schwächen auf.
Als nicht medizinisch geschulte Anwenderin fällt einem das jedoch schwerlich auf. Denn auf der Website der Firma heißt es, die Wirksamkeit von Natural Cycles basiere auf klinischen Studien. Die Ärztin Frank-Hermann sieht allerdings hohe Defizite bei den Studien: „Wir haben diese Studien massiv kritisiert, weil sie nicht nach wissenschaftlichen Standards durchgeführt sind.“ Trotz öffentlicher Kritik machen die Erfinder der App weiter Werbung mit der vermeintlichen Sicherheit. So finden sich auf der Homepage auch in dezentem rosa gehaltene Grafiken, die den Anschein hoher wissenschaftlicher Genauigkeit vermitteln. Sie sollen zeigen, dass die App so sicher ist wie die Pille und sogar sicherer als Kondome.
Für zusätzliche Verwirrung sorgt, dass Natural Cycles und andere Verhütungsapps vom TÜV zertifiziert sind. „Dieses Zertifikat sagt aber nichts aus über die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Methode“, ordnet der Bundesverband der Frauenärzte die Zertifizierung ein.
Die vermeintliche Sicherheit lassen sich die App-Entwickler dann auch teuer bezahlen. So zahlt frau für ein Monatsabo von Natural Cycles 8,99 Euro. Im Jahr fallen 64,99 Euro an. Dafür ist in diesem Preis auch das Thermometer zur Messung der Temperatur inbegriffen.
Die Werte dieser Temperatur und andere persönliche Daten darf Natural Cycles laut Datenschutzbestimmungen sammeln. Dazu zählen neben Name und Gewicht auch Temperatur, Ergebnisse von Schwangerschaftstests und die „intercourse history“, also wie oft man Sex hatte. Darüber hinaus darf die App auf Mikrofon und Kamera zugreifen. Lediglich die Ergebnisse, also ob frau gerade fruchtbar ist, werden nicht gespeichert. Da diese oft falsch sind, ist das nur ein schwacher Trost.
Doch was soll frau tun, wenn sie sicher verhüten will und das ohne Hormone? „Es bleiben im Grunde nicht viele Verhütungsmöglichkeiten übrig“, meint Frank-Hermann. Junge Frauen können statt auf die Pille zum Beispiel auf Kondome oder auch auf die Kupferspirale zurückgreifen.
Da bei Verhütung das Prinzip „safety first“ gilt, sollten Frauen, die keine hormonellen Verhütungsmittel verwenden wollen, lieber auf Spirale oder Kondom setzen als auf dubiose Apps, deren Sicherheit mehr als fraglich ist.
Von Esther Lehnardt
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Der Pearl-Index ist das einheitliche Maß für die Sicherheit von Verhütungsmethoden. Ausgegangen wird von einer Gruppe von 100 sexuell aktiven Frauen. Mit dem Pearl-Index wird die Zahl der Frauen angegeben, die trotz Anwendung einer bestimmten Verhütungsmethode nach Ablauf eines Jahres schwanger werden. Je niedriger der Pearl-Index, desto sicherer ist ein Verhütungsmittel.
Pearl-Index bei normalem Gebrauch* (Nach Contraceptive Technology, 2013)
Kupferspirale 0,8
Pille 9
Kondom 18
Koitus interuptus 22
Ohne Verhütung 85-100
*Zahl der Schwangerschaften im realen Leben
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