Heidelberger Studierende schauten Menschen auf der Toilette heimlich beim Händewaschen zu. Die Ergebnisse der Studie sind wenig appetitlich
[dropcap]N[/dropcap]eonlicht, weiße Fliesen, eine Klospülung rauscht und irgendwo klappern Kabinentüren auf und zu – ein ganz normaler Mittwochnachmittag auf der Gästetoilette der Galeria Kaufhof. Während es sich vorne vor dem Waschbecken tummelt, steht hinten im Halbdunkel die 21-jährige Jana und beobachtet unauffällig die Szenerie.
Was im ersten Moment nach einem zwielichtigen Hobby klingt, dient in Wahrheit dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn: Jana studiert Psychologie an der SRH Hochschule Heidelberg. Gemeinsam mit neun weiteren Kommilitonen untersuchte sie im vergangenen Herbst, wie gründlich sich Toilettenbesucher die Hände reinigen.
„Tatsächlich gehört das Händewaschen zum kleinen Einmaleins der Gesundheitsvorsorge“, erklärt der Gesundheitspsychologe Franz Musolesi, der die Feldstudie leitete. Etwa 80 Prozent aller Infektionserkrankungen werden über die Hände übertragen. Das liegt daran, dass sie das Bindeglied zwischen uns und unserer Umwelt sind: Egal, ob im Supermarkt, der Unibibliothek, beim Busfahren oder zur Begrüßung von Freunden – andauernd fassen wir etwas an. Und nehmen dabei unbemerkt Keime und Erreger mit auf unsere Reise. Auch unser Gesicht berühren wir pro Stunde im Schnitt 16 Mal. So reicht bereits ein Reiben der Augen und schon gelangen die Bakterien von unseren Händen über die Schleimhäute in unseren Körper. „Und das“, resümiert Musolesi, „ließe sich durch regelmäßiges Händewaschen vermeiden.“
Um einen aktuellen Eindruck zu gewinnen, wie es die Deutschen mit dem Reinigungsritual handhaben, schickte der Psychologe deshalb seine Studierenden ins Feld. „Wir brauchten eine große, repräsentative Stichprobe, die wir unauffällig und unmittelbar beobachten konnten“, berichtet Jana über ihr Vorgehen. Getarnt durch gegenseitiges Zöpfeflechten oder Smalltalk im Schatten der Klokabinen legten sich die Nachwuchsforscher auf die Lauer. Zwei Wochen lang observierten sie die Heidelberger WC-Szene, von einer Autobahnraststätte über die Mensa bis hin zu Hans im Glück. Angesprochen wurden sie dabei kaum. Am Ende hatten sie die Daten von 1000 Männern und Frauen gesammelt und analysiert. „So kann Forschung eben auch ablaufen“, lacht die 21-Jährige.
Doch wie wäscht man sich überhaupt richtig die Hände? Die World Health Organization (WHO) empfiehlt Folgendes: Nach oder vor bestimmten Situationen wie etwa dem Nachhausekommen, dem Toilettengang, beim Kochen, Abschminken oder dem Kontakt mit Tieren sollten die Handinnenflächen, Handrücken und die Fingerzwischenräume mit Seife gereinigt werden – und zwar für eine Dauer von mindestens 20 Sekunden. Dadurch lassen sich laut Studien 99 Prozent aller Erreger abtöten. Klingt eigentlich nach wenig Aufwand für einen großen Nutzen. „Händewaschen ist der billigste und effektivste Infektionsschutz, den es gibt“, bestätigt Musolesi.
Leider halten sich zu wenig Menschen an diese Leitlinie. Das zeigte auch die Studie der SRH: Nur acht Prozent aller beobachteten WC-Besucher erfüllten die Kriterien der WHO, ein Drittel ließ bloß etwas kaltes Wasser über ihre Finger plätschern. Die Männer schnitten besonders schlecht ab: Fast die Hälfte benutzte keine Seife und jeder zehnte verzichtete ganz auf den Gang zum Waschbecken. Ein ernüchterndes Ergebnis.
Jana sieht in der Untersuchung trotzdem bereits einen Gewinn: „Wir haben seitdem viel positive Resonanz bekommen und offensichtlich das Bewusstsein fürs Händewaschen erhöht. Man muss die Leute eben nur daran erinnern.“ Denn im Grunde wissen wir es ja alle seit dem Kindergarten: Nach dem Klo und vor dem Essen, Händewaschen nicht vergessen!
Von Anaïs Kaluza