Der Eurovision Song Contest: das einzig Gute, das Nationalismus jemals hervorbrachte.
Man mag den musikalischen Mehrwert zu Recht anzweifeln, doch wer eben keine hochkarätige Abendunterhaltung erwartet, hat das Konzept verstanden. ESC sollte man einschalten, um sich bis spät in die Nacht von russischen Balladen die Trommelfelle gegen den Strich streicheln zu lassen, um seine optischen Nerven durch Lichtshows bis zur Epilepsie zu reizen. Und für die brennenden Klaviere. Die gewisse Selbstironie der Veranstaltung zeigt sich schon in dem Fakt, dass man Australien für einen Tag im Jahr in die Europäische Union einbürgert, nur damit diese eine, zugegebenermaßen recht austauschbare, Pop-Nummer auf die Bühne bringen können.
Dennoch schimmert unter den Schichten von Make-Up und zwischen den Tornados aus Konfetti immer wieder das politische und gesellschaftliche Machtgefüge der teilnehmenden Nationen durch. So wird die Show zu einem Lehrstück osteuropäischer Realpolitik, das seinen Höhepunkt in der maßlos institutionalisierten und verkomplizierten Punktvergabe findet. Dieser kollektive europäische LSD-Trip ist in höchstem Maße bewahrenswert.
Alleine die schiere Vielfalt der Beiträge, die von Balladen, vereinzelten Metal-Songs, zu Wikingerchören, über butterstampfende Babushkas und wieder zu Balladen reicht, macht wohl die Veranstaltung einzigartig in der Menschheitsgeschichte.
Deutschland hingegen verkörpert in dieser Party tendenziell eher den Typen, der sich in einer Ecke an seiner Bierflasche festhält. Anders kann man sich den diesjährigen Beitrag, einen Möchtegern-Ed Sheeran, der seine berührende Lebens- und Familiengeschichte von „one love of two hearts with three kids and a loving mom“ inszenieren möchte, nicht erklären. Da erscheinen einem die Grand-Prix- Zeiten der Siebziger mit Dsching, Dsching, Dschingis Khan beinahe als Goldenes Zeitalter.
So ist es keine Überraschung, mehr Genugtuung mit einer Prise Schadenfreude, wenn es wieder nicht heißt: „Germany, twelve Points!“
Von Nele Bianga