Im Gespräch mit dem Gespenst des Kommunismus
Ihr Schöpfer Karl Marx wurde gerade 200 und Sie 170 Jahre.
Haben Sie gemeinsam gefeiert?
Angesichts des aktuellen Zustandes der Welt haben wir uns um der guten alten Zeiten willen gemeinsam vor der Marx-Statue in Trier mit einem guten Tropfen Moselwein betrunken. Also seien wir mal ehrlich, was soll man auch anderes tun angesichts von China, Nordkorea und Russland?
Nur Sie beide?
Zu Anfang schon. Mit der Zeit gesellten sich ein paar alte Bekannte zu uns – deutsche Polizisten zum Beispiel. Es hätte nur noch gefehlt, dass der Papst, der Zar, Metternich, Guizot und französische Radikale vorbeigekommen wären.
Nachdem Sie in den letzten 170 Jahren mehr oder minder erfolgreich in Europa umgegangen sind, sind Sie frustriert, dass viele den Kommunismus schon zu Grabe getragen haben?
Natürlich. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, ich sage nur Deutschland 1918/19, kann man fast nicht anders. Angesichts von Pflegenotstand, wachsendem Niedriglohnsektor und einem außer Kontrolle geratenen Finanzsystem hoffe ich jeden Tag darauf, dass die Proletarier sich endlich vereinigen. Aber sie scheinen sich mehr für dieses neumodische Internet zu interessieren. Wie man da auch ein anständiges Klassenbewusstsein entwickeln soll, ist mir schleierhaft.
Könnte das vielleicht auch an dem schlechten Image des Kommunismus angesichts der letzten kommunistischen Regime liegen?
Schon zu meiner Zeit haben viele den Kommunismus falsch verstanden. Das Problem mit dieser Art „Kommunisten“ ist, dass sie alle nur das Vorwort des Manifest gelesen haben. Dabei ist es doch wesentlich dünner als „Das Kapital“.
Wen meinen Sie damit?
Die Chinesen zum Beispiel nennen sich ständig Kommunisten, dabei sind die kapitalistischer als die Amerikaner. Da kann man höchstens hoffen, dass dadurch die Produktionsmittel dort bald soweit entwickelt sein werden, dass die echte kommunistische Revolution ausbrechen wird. Und was Mauern bauen mit internationaler Solidarität zu tun haben soll, konnte mir Honecker Zeit seines Lebens nicht überzeugend erklären.
Was planen Sie für die nächsten 170 Jahre?
Es gibt definitiv noch ein paar Pferde, auf die ich setzen würde, um meinen Geist endlich in der Welt verwirklicht zu sehen: Klimawandel, Energiekrise und wachsende Ungleichheit. Ich denke, die Arbeiter werden schon bemerken, dass Kapitalisten wie Donald Trump oder Carsten Maschmeyer diese Probleme nicht lösen können und die Angelegenheit in die eigene Hand nehmen.
Das Gespräch führten Matthias Luxenburger, Esther Lehnardt und Simon Koenigsdorff.