Wenn aus Humbug Wissenschaft wird: Russ Hodge erklärte Pizza zum Organismus und bringt die Wissenschaft zum Schmunzeln
Russ Hodge schrieb für die Satirezeitschrift „Annals of Improbable Research“ einen wissenschaftlichen Aufsatz über die Evolution der Pizza. Auf seinem privaten Blog veröffentlicht er satirische Texte, Comics und sonstigen Quatsch über Wissenschaft.
Für Ihre Studie haben Sie 100 italienische Restaurants in fünf verschiedenen europäischen Ländern aufgesucht – einige davon auch ausprobiert. Stellt sich die Frage: Wer hat gezahlt?
Es war eine Eigenleistung. Ich und mein Team haben selbst gezahlt.
Was macht Pizza zu einem wissenschaftlich relevanten Untersuchungsgegenstand für die Biologie?
Beim genauen Betrachten von Pizza habe ich festgestellt, dass es Sorten mit Käse, Champignons, Salami oder anderem Belag gibt. Ich bin auf den Gedanken gekommen, die Abstammungstheorie von Charles Darwin auf Pizza anzuwenden. Nach dieser Theorie haben zwei Arten mit denselben Eigenschaften einen gemeinsamen Vorfahren. So kam die Idee, die Entwicklungsgeschichte der Pizza nachzuvollziehen und einen Stammbaum zu erstellen.
Aber warum ist das Thema für uns wichtig?
Ist es nicht. Interessant an der Sache ist, mit einer komischen Idee seriöse Wissenschaft zu betreiben. Die Methode unserer Studie ist professionell, geht aber von der absurden Annahme aus, dass Pizza ein lebendiger Organismus ist. Dieses Vorgehen lässt sich auch auf andere wissenschaftliche Themen anwenden. Es braucht nur eine krumme Idee.
Apropos „krumme Idee“: Sie werfen in Ihrem Artikel einige ethische Fragen auf. Darunter auch, ob Pizza über ein Bewusstsein verfügt und damit auch Leid oder Schmerz empfinden kann. Wenn das so ist, dürfen wir dann überhaupt noch Pizza essen?
Wir essen auch andere Lebewesen, die Schmerz empfinden. Das Spannende an dieser Frage ist, was wir aus der Evolutionsgeschichte der Pizza machen können. Betrachtet man Pizza als Organismus, muss man erklären, wie sie entsteht. Man könnte sich vorstellen, dass sich Pizza wie ein Tier entwickelt hat. Allerdings konnte sie sich wegen der hohen Temperatur nicht weiterentwickeln und ist flach geblieben. Wäre Pizza nicht in ihrer Entwicklung stehen geblieben, wäre heute vielleicht Pizza die Intelligenz des Universums und nicht der Mensch.
Soweit ist es zwar nicht gekommen, aber immerhin hat es Pizza in Ihrem Aufsatz zum festen Bestandteil unseres Ökosystems der Nahrungskette gebracht. In Anbetracht dessen: Gibt es vom Aussterben bedrohte Pizza-Arten?
Wahrscheinlich würde ohne Pizza alles zusammenbrechen, vom Aussterben bedrohte Pizzasorten gibt es aber keine. Sehr wohl aber unnatürliche Mutationen, beispielsweise Pizza Hawaii oder Chicago Deep Dish.
Was ist das Problem mit diesen Pizzasorten?
Sie werden mit unnatürlichen Dingen wie Ananas, Pommes oder Spaghetti belegt. Es gibt sogar eine Hamburger-Pizza. Diese Sorten entsprechen nicht dem Naturzustand der Pizza.
Es handelt sich um merkwürdige Züchtungen, ähnlich wie Shih Tzus bei Hunden.
In diesem Zusammenhang eine sehr persönliche Frage: Gehört Ananas auf Pizza?
Ich mag es nicht. Aber meine Kinder belegen Pizza mit Ananas, sie dürfen das.
Wechseln wir die Perspektive von der Pizza zum Menschen: Sie warnen, dass exzessiver Pizzakonsum die kognitive Entwicklung des Menschen behindere, weil die Pubertät in die Collegezeit verschoben werde. Haben wir die Gefahr der Pizza für die persönliche Entwicklung des Menschen zu lange unterschätzt?
Nein, ich denke, dass von Pizza keine Gefahr mehr ausgeht. Seitdem Pizza vom Menschen gezüchtet wird, haben wir die Macht über sie erlangt. Ich wüsste aber nicht, was passieren würde, wenn dies nicht so wäre. Vielleicht eine übergroße Pizza wie in dem Film „The Blob“ oder Pizzilla, ähnlich wie in „Godzilla“. Übrigens lässt sich exzessiver Pizzakonsum mit ein bisschen Gemüse kurieren.
Jetzt mal ganz ehrlich: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen wissenschaftlichen Artikel über Pizza zu schreiben?
Es gibt viele Dinge in unserem Leben, die wir hinsichtlich Darwins Abstammungstheorie analysieren könnten.
Warum also nicht auch Pizza, dachte ich mir, und habe mich mit meinen Kollegen aus der Bioinformatik an die Arbeit gemacht. Als erstes mussten wir die Zutaten kategorisieren: Gemüse, Fleisch, Käse. Dann haben wir die 60 Zutaten in den Computer eingegeben und so getan, als wären es Gene. Es kam heraus – Pizza Margarita ist die Ursprungsform der Pizza. Es war ernsthafte Wissenschaft, die Idee war Nonsens. Das finde ich faszinierend: wie man richtig gute Wissenschaft aus Quatsch betreiben kann.
Kann denn die „ernste“ Wissenschaft etwas von der Pizza-Forschung lernen?
Davon bin ich überzeugt. Es ist grundsätzlich ein wichtiges Vorgehen in der Wissenschaft, etwas aus einer anderen und ungewöhnlichen Perspektive zu betrachten. Ich gehe noch einen Schritt weiter und möchte den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeigen, dass viel Humor in dem steckt, was sie tun. Es ist schreiend lustig, was in Laboren so passiert. Das ist die lustige Seite der Wissenschaft, die nur wenig gesehen wird, aber deswegen nicht weniger wichtig ist.
Sehen das Ihre Kollegen auch so?
Leider gibt es nur wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die bereit sind, ihre Grenzen zu überschreiten. Und genau darum geht es mir ja. Ich habe in meinem Büro humorvolle Comics an die Wand gehängt. Als drei meiner Wissenschaftskollegen für ein ernstes Gespräch in mein Büro kamen, mussten sie erstmal eine halbe Stunde lachen. Das hatte ich so noch nie erlebt. Man muss ihnen nur zeigen, welche Werkzeuge sie haben, um sich selbst und ihre Forschung nicht zu verbissen zu sehen. Dann wird etwas Interessantes passieren. Immer.
Das Gespräch führte Eylül Tufan.