Heidelberger Historiker untersuchen Karrieren von NS-Beamten in der Diktatur und der jungen Bundesrepublik. Mit einem Blog wenden sie sich an die Öffentlichkeit
Am 12. März 1933 war Joseph Goebbels überglücklich. Der NS-Agitator stand vor seinem größten persönlichen Triumph. „Morgen unterschreibt Hindenburg. Funk, Film, Theater, Presse, Propaganda. Alles also, was ich wünsche. Herrlich!“, schrieb Goebbels in sein Tagebuch. Und tatsächlich: Am nächsten Tag hob Hindenburg sein neues Ministerium „für Volksaufklärung und Propaganda“ aus der Taufe. Es sollte, laut Goebbels, eine „geistige Mobilmachung“ der Deutschen bewirken. Es sollte 1938 federführend die Inszenierung der „Reichspogromnacht“ forcieren.
Das Propagandaministerium war eines von vier Ministerien, die von den Nationalsozialisten gegründet wurden und mit dem Ende der NS-Herrschaft wieder verschwanden. „Wo kamen die Leute für die neugegründeten Ministerien her? Waren sie ‚nationalsozialistischer‘ als ihre Kollegen – etwa aus dem Finanzministerium? Und vor allem: Was machten sie nach dem Krieg?“ Diese Fragen beschäftigen Frank Engehausen und Phillipp Haase, Historiker in einem neuen Forschungsprojekt der Universität Heidelberg, das sich mit „Beamten nationalsozialistischer Reichsministerien“ befasst. Projektleiter Engehausen sieht das Vorhaben als Teil einer gesellschaftlichen Selbstverortung. „Man muss sich ehrlich machen und fragen: Wo kommen wir her? Der Ausgangspunkt dieser Art von Projekten war ja, dass Joschka Fischer ins Auswärtige Amt kam und sich gefragt hat: Wieso hängen diese komischen Bilder an der Wand? Also Bilder von Leuten, die eine NS-Vergangenheit hatten“, räsoniert der Historiker. Vorgängerstudien zu den Ministerien der jungen Bundesrepublik hätten dann tatsächlich personelle Kontinuitäten zu deren NS-Vorgängern aufgezeigt. Ihr Projekt nehme nun den blinden Fleck dieser Forschung in den Blick: „Wir möchten uns Ministerien anschauen, die eben keine direkte Nachfolgeorganisation in der Bundesrepublik Deutschland hatten“, erklärt Engehausen.
Sein Mitarbeiter Phillipp Haase vermutet, „dass die ehemaligen Beamten nicht nur in anderen Ministerien weitergearbeitet, sondern sich auch vielfach in die Privatwirtschaft zurückgezogen haben – und dort zum Teil hohe Positionen einnahmen.“ Mit dem Projekt sollen diese Vermutungen überprüft werden. Dabei bemühen sich die Historiker, die Öffentlichkeit miteinzubeziehen. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie in einem Blog und verbreiten sie über Social-Media-Kanäle. Twitter sei dabei besonders wichtig, betont Haase. „Wir versuchen, über unseren Twitter-Account unsere Inhalte zu teilen, in die Öffentlichkeit zu bringen. Aber wir versuchen auch, uns an der Diskussion mit ‚Twitter-Historians‘ zu beteiligen und auch andere Projekte zu teilen, die anschlussfähig sind zu unserem Projekt. Das hat für uns den Vorteil, dass wir mehr Zugriffe auf unsere Homepage haben, aber auch, dass wir schneller auf Fehler hingewiesen werden“, erklärt der Doktorand. Bei Redaktionsschluss hatte der erst drei Monate alte Account immerhin 464 Follower. Sobald die ersten größeren Ergebnisse vorliegen, möchten die Historiker diese in öffentlichen Veranstaltungen teilen. Darauf darf man gespannt sein.
Von Tim Schinschick
www.ns-reichsministerien.de