Das BAföG muss besser werden, darin sind sich alle einig. Doch wem das Geld vom Staat in welcher Höhe zugute kommen soll, ist umstritten. Sollte es für alle unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt werden?
Das BAföG ist familienabhängig. Das BAföG springt dann ein, wenn das Elterneinkommen nicht für die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung reicht. Damit jede und jeder studieren kann – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Elternunabhängigkeit hingegen würde bedeuten: Eltern müssten nicht mehr für erwachsene Kinder in Ausbildung zahlen, ihre Ausbildungsunterhaltspflicht würde ab 18 oder 21 enden.
Die Folgen wären verheerend für den Generationenvertrag und den Sozialstaat: Heute müssen Kinder für Eltern in Pflegeheimen zahlen: Das Gegenseitigkeitsprinzip würde ins Wanken geraten. Und es würde teuer werden: Bisher werden für das Studierenden-BAföG rund zwei Milliarden Euro im Jahr ausgegeben. Wenn alle 2,85 Millionen Studierenden 900 Euro im Monat vom Staat erhalten würden, wären das mal eben mehr als 30 Milliarden Euro im Jahr! Mehrausgaben in solcher Höhe könnten nur über Steuererhöhungen oder Pflegebeitragserhöhungen refinanziert werden.
These 1: Vom elternunabhängigen BAföG für alle profitieren vor allem diejenigen, deren Eltern schon genug Geld haben.
Stimmt, für die Hälfte der Studierenden. Denn: Sie kommen aus Elternhäusern, in denen beide Elternteile Akademiker/innen sind, und man kann durchaus diesen Elternhäusern auch überdurchschnittlich hohe Einkommen unterstellen. Warum also denen geben, die schon haben, nach dem Gießkannenprinzip?
Die Umstellung auf elternunabhängiges BAföG würde nicht mehr Chancengleichheit oder Bildungsgerechtigkeit bringen, sondern wäre vielmehr der Abschied vom Bedürftigkeitsprinzip: Es würde auch denen gegeben, die es nicht benötigen. Das kann kein Sozialstaat ernsthaft wollen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Studierende in aller Regel nach ihrem Abschluss ein höheres (Lebenszeit-)Einkommen erzielen als alle anderen Berufsgruppen, und dass der Staat für ein Hochschulstudium gehörige Kosten hat.
These 2: Der bürokratische Aufwand eines BAföG-Antrags würde stark verringert werden.
Auch in einem neuen System eines elterunabhängigen BAföGs müssten die BAföG-Ämter der Studenten- und Studierendenwerke immer noch prüfen: Alter, Staatsangehörigkeit, Fachrichtungswechsel, BAföG-Leistungsnachweis, Förderungsdauer nur innerhalb der Regelstudienzeit und so weiter. Eine theoretisch mögliche Verwaltungsersparnis würde die enormen Mehrkosten – das 15-fache der derzeitigen Ausgaben – nur marginal mindern. Kurz: Wenn alle Studierenden BAföG erhielten, wäre das noch lange kein Bürokratieabbau, keine Verwaltungsvereinfachung. Diese These ist also rundweg falsch. Und ja, der BAföG-Antrag ist bürokratisch und zeitaufwändig. Aber wir dürfen nicht vergessen: Im derzeitigen System BAföG geht es um eine staatliche Sozialleistung. Es muss schon sauber geprüft werden, ob jemand darauf einen Anspruch hat oder nicht.
These 3: Das Hauptproblem des BAföG ist seine seltene Anpassung, nicht die Anzahl der Leute, die es bekommen.
Beides wirkt zusammen: Bei der derzeitigen elternabhängigen Förderung mindern Einkommensanhebungen die Förderungsleistung. Ohne Anpassung an die Einkommens- und Preisentwicklung fallen mehr Studierende aus der Förderung – oder sie erhalten weniger BAföG. Beides wird mit vermehrtem Jobben kompensiert, oft zulasten des Studiums, die Studienzeit verlängert sich. Insbesondere mit einer kräftigen Anhebung der BAföG-Freibeträge könnten wieder mehr Studierende BAföG erhalten. Klar, das BAföG muss dringend regelmäßig erhöht werden, und wir als DSW fordern das seit langem – aber daraus kann man noch lange kein Argument für ein elternunabhängiges BAföG stricken. Die derzeitige „Schwäche“ des BAföG ist überhaupt kein Argument, eine radikale Systemänderung daran vorzunehmen. Man muss es vielmehr stärken im System, wie es aktuell ist. Nicht das System ist schlecht, sondern die Ausgestaltung durch die Politik.
Von Bernhard Börsel