Wie die Zukunft der Stadtgesellschaft aussieht, beschäftigt nicht nur Architekten, sondern auch die Forschung
[dropcap]D[/dropcap]ie Internationale Bauaustellung (IBA) dringt in Heidelberg in diesem Sommer aus jeder Pore und macht das Thema Stadtentwicklung allgegenwärtig. Halbzeit heißt es für die geplanten Projekte, die unter dem Leitthema „Wissen | schafft | Stadt“ stehen und die Wissensgesellschaft architektonisch fördern sollen. So beteiligt sich auch die Universität an der IBA, zum einen durch das Reallabor „Nachhaltige Stadtentwicklung in der Wissensgesellschaft“ am Geographischen Institut; ein öffentliches und übergreifendes Interesse findet durch die Beschäftigung des Studium Generale unter dem Motto „Die Stadt von Morgen. Zukunftsfragen der Gesellschaft“ statt. Hierbei stellen Experten aus ganz Deutschland verschiedene Herangehensweisen an die architektonische Entwicklung einer Stadt vor.
Ungewöhnliche aber spannende Ansätze hat dazu Henry Keazor, Professor am Institut für europäische Kunstgeschichte Heidelberg. In seinem Vortrag „Von Filmstädten über reale Städte lernen“ beschreibt er am Film „Total Recall“ aus dem Jahr 1990 einen modernen Gebäudekomplex, der in Mexiko für Innovation steht, im Film aber zum Ausdruck eines totalitären Regimes wird. „Die Interpretation im Film führt Züge eines Architekturbildes auf, die im Stadtkontext nicht gesehen werden“, analysiert Keazor. Lange beschäftigt er sich in seiner Forschung mit Stadtansichten und verweist darauf, dass der Anspruch, den Charakter einer Stadt in die Architektur zu übersetzen, bezeichnend für die Kultur im 20. Jahrhundert ist. „Bis ins frühe 19. Jahrhundert hat man gebaut, wie man es für richtig befand und ging davon aus, dass es Ausdruck der Zeit ist. Im Barock hat man sich nicht überlegt, wie man Barock in Architektur übersetzt. Heinrich Hübsch war es, der dann 1828 fragte: In welchem Style sollen wir bauen? und das Selbstverständnis ging verloren.“
Im Hinblick auf diese Entwicklung untersuchte er mit Studierenden des Instituts im Jahr 2015 konkret Heidelberger Stadtprojekte. Besonders ein Stadtteil weckte dabei das Interesse der Untersuchungen. „Wir betrachteten einen Baukomplex, der früher mit dem Hinweis beworben wurde, dass es dort wie in der Altstadt ist. Es gibt eine Hauptstraße, ein Gebäude sieht aus wie das Schloss, es gibt darunter kleine Seitengassen. Es wurde transportiert, dass dort der Geist von Heidelberg erfasst und anschließend modern interpretiert wurde. So entstand der Emmertsgrund.“ Obwohl dieser architektonische Grundgedanke auch heute noch leicht zu erkennen ist, würde aktuell wohl kaum einer den Emmertsgrund mit der Altstadt gleichsetzen, woran sich zeigt, dass es nicht reicht, die Frage nach der Bebauung zu lösen.
So ist auch für den Politikwissenschaftler Michael Haus Stadtentwicklung nicht allein über die ästhetische Sinnqualität zu lösen. Auch Bürgerbeteiligung und Verfügbarkeit von öffentlichen Gütern für jeden sind für ihn relevant. „Eine Stadt ist ein Sozialraum, in dem sich verschiedene Arten politischer Praxis abspielen, miteinander interagieren und sich gegenseitig beeinflussen“, beschreibt er. Für seine Untersuchungen zum Phänomen Stadt gilt es deshalb, „die Multiperspektivität einer Stadt ernst zu nehmen und dann zu erkunden, was trotz dieser Vielfältigkeit als die Einheit der Stadt verstanden werden kann.“ Haus war an einem Verbund von Forschungsprojekten beteiligt, die Profile von Städten über Aspekte wie regionale Kriminalliteratur, Frisörsalons oder auch Marketing erstellt haben
„Aktuell hat die IBA Heidelberg sich meines Erachtens zu stark auf Architekten konzentriert und den sozialwissenschaftlichen Aspekt der Stadtentwicklung eher ausgeklammert.“ In seinem aktuellen „Seminar Stadtpolitik: Theorie und Praxis“ analysieren die Studierenden daher an den Städten Mannheim und Ludwigshafen Aspekte der Migrationskonzepte, Segregation und Bürgerbeteiligung. Diese Beteiligung der Studierenden durch die Forschung ist ihm wichtig, da er ihren direkten Einfluss auf die Entwicklung einer Stadt als gering einschätzt. „Studierende werden interessant, wenn sie Projekte machen, die für die Stadt von Bedeutung sind, wie das Collegium Academicum. Das ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Schnittstelle zwischen Stadtentwicklung und studentischem Leben.“ Als Forscher haben sie laut Haus die Möglichkeit, die Universität dabei zu unterstützen, sowie Wissen und Innovation als Ressource einzubringen. Dabei sei nicht zu vergessen, dass die Existenz einer Universität mit ihren Studierenden auch bedeutet, dass innerstädtisch eine stärkere Basis für Meinungen und einen breiteren Demokratieanspruch geschaffen wird. Dabei könne die „Schwäche“, dass Studierende schnell kommen und gehen, auch als Stärke genutzt werden. „Diese Gruppe mit spezifischen Erfahrungen einer Stadt sollte in Kommunikation mit Gruppen mit fester Bindung an die Stadt, gebracht werden.“ So wünscht sich auch Keazor, dass wie 1968 bei den Protesten gegen die Altstadtsanierung Jung und Alt gemeinsam auf die Straße gehen.
Von Maren Kaps