Während des Queerfestivals im Karlstorbahnhof diskutierten Sonja Eismann und Mithu Sanyal über Genderprägung, Feminismus und den Untergang des Patriarchats
Sonja Eismann ist Chefredakteurin des feministischen, popkulturellen Missy-Magazins. Mithu Sanyal spezialisierte sich als Kulturwissenschaftlerin und Autorin auf sexualisierte Gewalt. Im Rahmen einer Querfeldein-Diskussion führte der ruprecht mit ihnen ein Gespräch.
Hattet ihr während der Diskussion den Eindruck, dass Feminismus unter Studierenden noch ein Tabuthema ist?
Sonja Eismann: Offiziell leben wir in einer postsexistischen Gesellschaft. Wer dennoch ein Problem mit Sexismus hat, wird als Opfer angesehen, das sein Leben nicht auf die Reihe kriegt. Das will niemand.
Mithu Sanyal: Aber wir haben ja auch viel erreicht. Inzwischen gibt es mehr Studentinnen als Studenten.
Eismann: Aber nicht bei den Professoren. Wenn man studiert, hat man in der Regel kein Kind und arbeitet noch nicht. Sobald sich das ändert, entstehen die traditionellen Geschlechterrollen, weil es so einfacher ist. Dann merken viele Frauen erst, dass sie benachteiligt sind.
Auch Männer werden in manchen Bereichen ungerecht behandelt. Brauchen wir männlichen Feminismus?
Sanyal: Ja. An meiner Tochter sehe ich, dass sich die Welt verändert hat. Früher wurden Mädchen in der Schule benachteiligt, heute gelten Jungs als Störfaktoren. Der Feminismus hat die Situation für Mädchen verbessert, wir müssen dasselbe jetzt auch für Jungs machen.
Eismann: Da sehe ich Probleme. Ich bin auch dafür, dass Männer über ihre Probleme sprechen, aber sie machen das natürlich aus der Position der Privilegierten, die Frauen aus der Position der Unterdrückten. Das ist ein großer Unterschied.
Sanyal: Ich glaube, dass Männer in bestimmen Punkten zwar sehr privilegiert sind, in anderen Punkten aber gar nicht.
Eismann: Das finde ich schwierig. Die Männer, die eine Opferbewegung machen, sind die Männer, die das Sorgerecht für ihre Kinder wollen, nachdem sie sich getrennt haben. Und immer davon ausgehen, dass sie von Frauen unterdrückt wurden. Sie sagen: Ja, aber Männer mussten ja zum Militär und haben viel Stress. Das wäre das Analoge zum Feminismus, aber das ist es nicht. Da wird eine Unterdrückung vorgegaukelt, die de facto nicht existiert. Klar haben auch Männer Probleme, aber sie haben das Patriarchat auch selber gemacht. Ich habe mal mit einer Schauspielerin gesprochen, die meinte, dass die Männer jetzt entsorgt werden. Und dass sie dann gesagt haben: Ich mache jetzt gar nichts mehr, dann bin ich als Ernährer überflüssig, dann haue ich jetzt nur noch auf die Kacke und werde nur noch hedonistisch und bleibe ewig so ein postpubertärer Typ, der keine Verantwortung übernimmt. Das war natürlich aus ihrer Perspektive und absichtlich überzogen, aber das sehe ich auch so.
Sanyal: Ich war ziemlich schockiert, als ich einen Sohn bekommen habe, weil ich dachte mit einer Tochter, das weiß ich. Und ich war überrascht, wie stark Genderzurichtung auch bei Jungen gewirkt hat, wie diskriminierend das war. Das hat mich innehalten lassen.
Eismann: Aber sind diese Veränderungen nicht auch etwas Generationelles? Also bei meinen Eltern sehe ich, dass die gesamte Situation noch sehr ungebrochen ist, und dass die Frauen auch noch sehr viel mehr Opferbereitschaft hatten. Und ich bin absolut nicht mehr bereit, das zu opfern.
Sanyal: Mein Vater hat nicht gelernt zu kommunizieren. Aufgrund einer Sprachbarriere hatte ich Probleme, mit ihm zu sprechen, und dachte: Das liegt am Patriarchat. Irgendwann merkte ich, wie verloren er war. Ich ging davon aus, dass er uns unterdrückt, doch er hatte einfach keine Möglichkeit, sich emotional auszudrücken. Das ist tragisch. Ich sehe auch die Tragik meiner Mutter, die dachte, sie muss ihm Hemden bügeln, und ein Leben für ihn führte, das würde ich überhaupt nicht schaffen.
Muss jede Frau eine Feministin sein?
Eismann: Ich war da früher immer streng, mir war der Begriff Feminismus besonders wichtig, weil er damals so negativ besetzt war. Wenn Frauen gefragt wurden, ob sie Feministinnen
seien, antworteten die immer: Gott bewahre, ich hasse doch keine Männer. Aber mittlerweile denke ich: Mir ist egal, wie genau die Leute es nennen, jeder Mensch, der Respekt vor sich selber und anderen hat, muss ein Interesse daran haben, dass alle gleich behandelt werden. Deswegen macht es für mich überhaupt keinen Sinn, gegen Feminismus zu sein. Wenn die Leute Angst vor dem Begriff haben, dann kann man darüber reden. Aber wenn man tatsächlich aktiv dagegen ist, dass Menschen gleich behandelt werden und die gleichen Rechte haben, dann kann ich das nicht nachvollziehen.
Sanyal: Angela Merkel hat ja mal in einer Politdiskussion gesagt, dass sie Feminismus toll fände, aber sich das Ganze nicht anmaßen wolle, weil sie selbst ja nicht die ganzen Leistungen vollbracht hat. Und da fand ich es total interessant, dass das auf einmal so positiv war. Also nach dem Motto: Ich bin ja nicht gut genug, um Feministin zu sein. Ich kann mir das nicht anmaßen. Und das ist ja so eine Verschiebung, da habe ich mir dann gedacht: Wir sind angekommen. Wir haben endlich etwas gesellschaftlich geschafft.
Das Gespräch führten Alina Jacobs und Lina Rees.