Maxim Biller übernimmt die diesjährige Poetikdozentur und spricht über „Literatur und Politik“.
Wer ist Maxim Biller? Er selbst beschreibt sich als „ein überheblicher, vorlauter, belesener Jude“. Der deutsche Literaturbetrieb könnte sagen, mit seinen 57 Jahren ist er unser enfant terrible. In Autorenbeschreibungen liest man: Kolumnist für die Zeit und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Schriftsteller und Literaturkritiker. Als Kind russisch-jüdischer Eltern wurde Biller in Prag geboren, studierte Literatur in Hamburg und München und schrieb dann für das Magazin Tempo seine berüchtigte Kolumne 100 Zeilen Hass. 2007 druckte der New Yorker zwei seiner Kurzgeschichten.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Biller bekannt als festes Mitglied des Literarischen Quartetts. Dort sollte er Marcel Reich-Ranicki ersetzen. In Puncto literarischer Schlagfertigkeit, Tendenz zum Aphorismus und eigenwilligen Urteilen gelang das gut; nur mangelte es Biller an Feingefühl mit seinen Mitstreitern. Er verriss Bücher, über deren literarischer Qualität man sich vermeintlich einig war. Dann hieß es über Thomas Melles Roman Welt im Rücken: „Eine Katastrophe. Komplett misslungen.“ Herausfordernd war das für Volker Weidemann als „Marionettenmeister“ des Quartetts, wie Biller ihn als Moderator Mal nannte, beängstigend bisweilen für die Diskussionsgäste. Seine klare Haltung provozierte eine ästhetische Beurteilung, die mehr verlangte als ein emphatisches: „Hab ich gern gelesen.“ Letztlich verließ Biller das Quartett nach weniger als eineinhalb Jahren, um sich stärker seiner eigenen Literatur zu widmen.
Die Stoffe für seine Werke entnimmt er seinem Leben als Jude. In seinem lesenswerten Selbstporträt Der gebrauchte Jude erzählt er etwa von seiner Todesangst bei einem Anschlag am Münchner Flughafen, in seinem knapp 900-seitigen Roman Biografie die Familiengeschichte zweier Juden, auf die sich die Shoa-Erfahrung der Eltern auswirkt. Und sein im September erscheinender Roman Sechs Koffer entfaltet die Geschichte einer russisch-jüdischen Familie auf der Flucht von Ost nach West. Wie seine Figuren ist auch er Sklave und Profiteur seiner Biographie – verwundbar, getrieben, wütend. Trotz seiner starken Identifikation mit dem Jüdischsein meint Biller: „Ich bin deutscher Schriftsteller so, wie Philip Roth auch zuerst amerikanischer Schriftsteller war.“
Der deutsche Philip Roth wäre wohl eine Bezeichnung, die Biller schmeicheln würde. Ähnlich wie die Bücher des kürzlich verstorbenen Roths sind auch Billers durchzogen von Protagonisten, die an Frauen- und Vaterkomplexen leiden und mit ihrer jüdischen Identität zu ringen haben. Außerdem teilen sie den Hang zur Provokation. Als Zeugnisse „literarischer Phallokratie“ beschreiben sie seitenweise lang Sex in allen denkbaren Ausschweifungen.
Nicht zuletzt wegen solcher fleischlichen Exzesse wurde Billers Roman Biografie verrissen. Die Erektion der männlichen Figuren haben ein reicheres Innenleben als die Frauen, stichelte es da etwa von der Zeit. Er habe die Literaturkritik gegen sich, begründet Biller solche Ungerechtigkeit: „Seit Anbeginn meines Schreibens beobachte ich eine reflexhafte, manische, oft fulminante Ablehnung.“ Stefan Willecke von der Zeit äußert in seinem durchaus sympathisierenden Biller-Porträt, dass dieser Kritik an seinen Werken als Kritik an der jüdischen Kultur auslege. Billers Antisemitismusvorwurf ist möglicherweise ähnlich reflexhaft wie die Ablehnung seitens der Kritiker. 2000 veranstaltete Biller eine Tagung in Tutzing für junge Schriftsteller, denen er im Eröffnungsvortrag in handkerscher Manier „Schlappschwanzliteratur“ vorwarf. Sich selbst betitelt er darin übrigens als „Hass-und-Moral-Amokmann“. Willecke formuliert es so: „Der größte Feind Maxim Billers ist immer zuerst Maxim Biller.“
Germanistikstudenten dürfte Biller vor allem wegen seines Romans Esra bekannt sein. Lange Zeit begann die Einführungsvorlesung in Neuere deutsche Literatur mit Billers Esra-Kontroverse als Beispiel dafür, wo die Autonomie von Kunst Grenzen hat. Eine Ex-Freundin fand sich in einer Figur zu stark abgebildet, weshalb das Buch aufgrund der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte schließlich vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Die Frage nach Kunstfreiheit wird auch in aktuellen Debatten neu aufgeworfen – Stichwort: Gomringer Gedicht oder die vorgeschlagene Zensur antisemitischer Raptexte von Kollegah und Farid Bang. Zumindest zu seinem Fall meint Biller: „Kunst hat keine Grenzen. Kunst ist frei. Über Literatur können keine Richter urteilen, sondern nur Kunstbetrachter.“ Kunst kann aber auch missbraucht werden zur Propaganda und zur Hetze. Denn Kunst ist nicht nur kritisch, sondern auch affirmativ. Das dürfte auch Biller wissen; während seiner Poetikdozentur mit dem Thema „Literatur und Politik“ wird er diesen Umstand mindestens streifen.
Reich-Ranicki sagte mal der Frankfurter Rundschau, „die Hinwendung der Literatur zur Politik ist eine Bewegung, die die Literatur verdirbt und die Politik nicht verbessert.“ Beide Begriffe mit Verzicht auf Ideologie zusammenzudenken ist schwierig. Mit seinen „Hass-Kolumnen“ hat Biller diesen Denkprozess bereits begonnen. In ihnen deckt er das Kleingeistige der deutschen Nachkriegszeit auf. Ihr literarischer Wert ist unbestreitbar; 20 Jahre später wurden sie nun gesammelt herausgebracht und Biller erweist sich darin oft als zuverlässiger Zeitdiagnostiker. Die Rolle als jüdischer Autor ist keine, die ihm vom Literaturbetrieb aufgedrängt wurde. Aber seine jüdische Stimme ist in der deutschen Literatur angesichts von neu auftretenden rechten Buchverlagen und intellektuellem Hate Speech wichtiger denn je.
Von Johannes Stuhrmann
Im Format Poetikdozentur geben Schriftsteller Auskunft über ihr Schaffen, ihre Biografie und ihre poetologischen Prinzipien. In den letzten Jahren übernahmen Lutz Seiler (2015), Felicitas Hoppe (2016) sowie Frank Witzel (2017) die Dozentur. Die Poetikvorlesung findet an den Montagen des 18./25. Juni und 2. Juli statt – jeweils um 19.15 Uhr. Die Antrittsvorlesung am 18. Juni beginnt in der Alten Aula. Die beiden übrigen Vorlesungen werden im Hörsaal 13 gehalten. Der Eintritt ist frei. Organisiert wird sie vom Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg in Kooperation mit dem Kulturamt der Stadt Heidelberg.