Venezuela ist in Aufruhr. Bei Protesten und Demonstrationen reagiert die Polizei regelmäßig mit Gewalt, die Fronten zwischen den politischen Gegnern scheinen verhärtet. Wir haben mit einer Studentin aus Valencia gesprochen, die über die Situation in ihrem Land berichtet
Tausende junge Menschen sind auf den Straßen. Sie skandieren Parolen gegen Nicolas Máduro, den amtierenden Präsidenten Venezuelas. Die Polizei und Einsatzkräfte reagieren mit brutaler Gewalt. Das Land befindet sich inmitten einer Krise, dabei liegen die Konflikte weit zurück.
Nadia studierte Moderne Fremdsprachen an der Arturo Michelena Universität, der größten privaten Hochschule Valencias. Nun lebt sie seit drei Jahren in Heidelberg und schaut mit Sorge auf ihr Heimatland. „Solange ich denken kann, gab es Proteste in Venezuela. Der erste, an den ich mich erinnern kann, fand im April 2002 statt. Ich weiß noch, dass wir die Auswirkungen des Tränengases in unserem Haus fühlen konnten.“ Auch wenn dabei einige Menschen ums Leben kamen, schien sich nichts zu ändern. Nachdem eine Studentin Opfer einer versuchten Vergewaltigung wurde, entflammten die Demonstrationen im Jahr 2014 erneut. Die seit mehreren Jahren anhaltende Inflation und die Lebensmittelengpässe ließen die Unruhen weiter hochkochen. In diesem Jahr nahm auch Nadia zum ersten Mal an einer Demonstration teil. Sie erklärt, dass viele Dinge sie dazu bewogen, auf die Straße zu gehen, vor allem aber die medizinische Unterversorgung sei eines der gravierendsten Probleme. Während der Proteste hatte sie Glück, nicht verletzt worden zu sein, doch einige ihrer Freunde wurden verwundet und inhaftiert. „Eine Studentin meiner Universität starb in den Händen der Polizei. Ihr Name war Geraldine Moreno“, erinnert sich Nadia.
Die Ereignisse hatten enorme Auswirkungen für das Leben auf dem Campus: Studierende, die dabei waren, ihren Abschluss zu machen und dafür Kurse besuchen wollten, wurden als „Chavistas“, Anhänger des vorherigen Präsidenten Hugo Chávez, bezeichnet. Chávez gilt als umstrittene politische Figur. Wurde er zu Beginn seiner Amtszeit noch als Bringer von sozialem Wandel gefeiert, wandte er sich in seinen letzten Regierungsjahren verstärkt gegen die freie Presse. Studentische Gegner des Präsidenten, versuchten ihre Kommilitonen von Veranstaltungen fernzuhalten, um sie vom Hörsaal zu den Protesten zu bewegen. Grundlegende Probleme erkennen allerdings beide Seiten an. Nadia glaubt, dass das politische System Venezuelas „ein großer Witz ist.“ Es gab zwar Präsidentschaftswahlen, dennoch hätte kein ernstzunehmender Gegenkandidat Máduros eine Chance gehabt, denn die Regierung fände Mittel und Wege, den Willen des Volkes zu umgehen. „Ein Beispiel hierfür sind die Parlamentswahlen: Die Opposition gewann die Mehrheit, doch es wurde ein paralleles Parlament gebildet, das die Macht übernahm.“ Ein politischer Umschwung werde in nächster Zeit nicht passieren, denkt Nadia, „wenigstens nicht auf legale oder demokratische Weise. Ich wünsche mir vor allem, dass die Stimme der Menschen in meinem Land gehört wird.“
Von Nele Bianga